Sehr junge Menschen fragen sich jetzt womöglich: Wo spielt denn der auf Netflix oder Amazon Prime mit? „Dirty Harry“ kann aber wohl auch darüber schmunzeln, denn privat ist er ganz anders als sein langjähriges Leinwandimage: Zur Kinopremiere seines Thrillers „The Mule“ etwa nahm Clint Eastwood 2018 Ex-Ehefrau Maggie Johnson und seine neue Liebe Christina Sandera auf den roten Teppich mit. Ein sanfter Mann mit weitem Herzen? Jedenfalls gern schweigsam und öffentlichkeitsscheu – mit dem Verzicht auf jegliches Star-Brimborium.

Der Erfolg kam zwar nicht sofort, aber doch schnell: Der athletische Sohn eines Stahlarbeiters und einer Hausfrau musste sich zu Beginn seiner Filmkarriere mit Rollen in B-Movies zufriedengeben, bis er 1964 mit Sergio Leones „Für eine Handvoll Dollar“ einen weltweiten Erfolg landete, der die Welle der Spaghettiwestern auslöste, mit Eastwood den Typ des lässigen, zynischen Fremden einführte und zugleich mit der Westerntradition brach: „Ich habe all die Sachen gemacht, die in den alten Western undenkbar waren. Ich bin der, der dem Todfeind pragmatischerweise in den Rücken schießt.“

Eastwood mit seiner Ex-Frau Dina. Nach 17 Jahren ging 2013 die Ehe von Dirty Harry und seiner 35 Jahre jüngeren Frau in die Brüche. Insgesamt hat er acht Kinder mit sechs Frauen, zwei Ehen
Eastwood mit seiner Ex-Frau Dina. Nach 17 Jahren ging 2013 die Ehe von Dirty Harry und seiner 35 Jahre jüngeren Frau in die Brüche. Insgesamt hat er acht Kinder mit sechs Frauen, zwei Ehen © EPA



Er schafft nach dem Westernhelden eine weitere Figur, die Kultstatus erlangen sollte: Selbstjustiz-Inspektor Harry Callahan, noch populärer als „Dirty Harry“ – ein einsamer, fanatischer „law and order man“, den er zwischen 1971 und 1988 fünf Mal verkörperte. Ab 1971 profilierte er sich auch als Regisseur. Er produziert seine Filme selbst, dreht schneller und zumeist billiger als die große Hollywoodmaschine, in deren Schatten er sich eingerichtet hat. 2004 erklärte er: „Ich werde arbeiten, bis ich tot vom Regiestuhl kippe.“

Lange gab es in Eastwoods Welt nur Platz für Männer. „Die Brücken am Fluss“ waren 1995 eine Wende: Er inszenierte und spielte mit Meryl Streep in diesem Drama
Lange gab es in Eastwoods Welt nur Platz für Männer. „Die Brücken am Fluss“ waren 1995 eine Wende: Er inszenierte und spielte mit Meryl Streep in diesem Drama © BR/Warner Bros.


Vom Schauspielerimage als knallharter Typ habe er sich schon lange verabschiedet. „Ein ,Dirty Harry‘ mit Hüftleiden wäre wohl wenig glaubwürdig“, schmunzelt er. Eastwood setzt sich in seinen Arbeiten beständig mit amerikanischen Mythen auseinander und dekonstruiert sie auch, um ein komplexeres Bild der Gesellschaft abseits von Schwarz-Weiß-Malerei zu zeichnen.

Auf seine Oscars (für den Spätwestern "Erbarmungslos" und für den  Boxerfilm „Million Dollar Baby“) folgten etwa die Kriegsdramen „Letters from Iwo Jima“ und „Flags of our Fathers“, der Politfilm „Invictus – Unbezwungen“, das Scharfschützendrama „American Sniper“ und auch „Sully“ mit Tom Hanks als Pilot Chesley Sullenberger, dem 2009 eine spektakuläre Notwasserung gelang. Zuletzt, 2019, inszenierte er „Der Fall Richard Jewell“, seinen 38. Film.
Das „Rolling Stone“-Magazin bezeichnete ihn einmal als „republikanisches Gewissen seiner Partei und Lobbyist mehr oder weniger patriotischer Heldenfiguren“; politisch war er in den 1980er-Jahren in seiner kalifornischen Heimatgemeinde Carmel als republikanischer Bürgermeister tätig. Wir ziehen den Hut zum 90er!