Die Journalistin Qian Sun ist Deutschland-Korrespondentin des staatsnahen chinesischen Senders Phoenix TV. Beim 13. Mediengipfel in Lech am Arlberg sprach sie über die Internierungslager in der chinesischen Provinz Xianjing, die Demokratiebewegung in Hongkong und die staatliche Zensur.

Zum Hintergrund: Vergangene Woche veröffentlichten Investigativjournalisten Dokumente über Internierungslager, in denen bis zu eine Million Uiguren unter menschenrechtswidrigen Umständen gefangen gehalten werden sollen. Die Uiguren sind eine muslimische Minderheit. China-Experten sprechen von einem kulturellen Genozid. Die Süddeutsche Zeitung war an der Aufdeckung der sogenannten China Cables beteiligt und hat umfassend darüber berichtet.

Die chinesische Regierung sagte, die China Cables seien eine Fälschung und die Lager würden der Anti-Terrorbekämpfung dienen. Das internationale Netzwerk für investigativer Journalisten (ICIJ) hat die Dokumente geprüft und hält sie für echt.

Was weiß die Bevölkerung in China von den Lagern in Xinjiang?

Qian Sun: Das ist schwer zu sagen. Viele Menschen wissen, dass etwas los ist, aber nicht, welches Ausmaß das hat. Sie wissen, was in den Lagern passiert, aber sie denken, das ist richtig. Auch weil die Regierung sagt, dass die Lager zur Terrorbekämpfung dienen. Es ist auch wahr. Xinjiang ist eine Grenzregion, vor ein paar Jahren gab es auch Terroranschläge.

Die Chinesen wissen nicht, was Rassismus ist. China ist ein sehr homogenes Land. Die meisten sind Han-Chinesen. (Anmerkung: 92 Prozent der Bevölkerung in China gehören zur Volksgruppe der Han)

Eine Millionen Uiguren sind potenzielle Terroristen?

Qian Sun: Die Regierung glaubt, es ist besser, Menschen, die gefährlich erscheinen, in Lager zu sperren. Eine Million ist vielleicht in Österreich eine große Zahl, aber in einem Land mit eineinhalb Milliarden Leuten denken viele Menschen das ist okay. Zu dieser Zahl von einer Million: Man kann nicht sagen, ob das wahr ist. Das ist nur eine Schätzung. Die chinesische Regierung würde nicht von einer Million sprechen, das ist eine Zahl von westlichen Medien.

Experten sagen, das hat mit Terrorismusbekämpfung nichts zu tun.

Qian Sun: Ich habe die Dokumente gelesen. Ich bin ein bisschen überrascht, die Dokumente sind nicht so stark. Es gibt Regierungsdokumente, die sagen, die Lager sind wie Konzentrationslager. Aber es steht auch ganz klar darin, dass das Ziel Anti-Terror ist.

In den Dokumenten steht, dass Uiguren präventiv inhaftiert werden. Wie kann man das argumentieren, dass man Menschen für etwas einsperrt, das sie nicht getan haben?

Qian Sun: Menschen, die in einem anderen Teil von China wohnen, denken, dass sind Terroristen in Xinjiang. Die Menschen dort haben einen ähnlichen Ruf wie die Roma hier. Sie sehen auch anders aus als die Han-Chinesen und haben einen gewissen Ruf. Das legitimiert nicht, was die Regierung macht. Aber die Wahrnehmung (der Bevölkerung, Anm.) ist, die Regierung macht etwas Gutes für uns.

Wäre es nicht die Rolle der Medien, darüber aufzuklären, dass das, was die Regierung macht, nicht per se gut ist?

Qian Sun: In demokratischen Systemen sind die Medien die vierte Macht im Staat. Sie zeigen auf, was die Regierung richtig und was sie falsch macht. In China kopieren die Medien das, was die Regierung will. Der Feedback-Loop einer normalen Medienstruktur funktioniert in China nicht.

Welche Rolle spielen soziale Medien?

Qian Sun: Soziale Medien sind mittlerweile eine große Nachrichtenquelle für die Menschen, aber auch dort ist die Zensur sehr stark. Und in sozialen Medien ist das sogar einfacher. Zum Beispiel würden Berichte, die Worte wie Xinjiang, Uigur und Lager oder Begriffe wie Hongkong und Protest enthalten, dort gar nicht erscheinen.

Der Sender, für den Sie arbeiten, hat seinen Sitz in Hongkong. Von den Wahlerfolgen der Demokratiebewegung in Hongkong und den Protesten habe ich weder auf der Homepage noch auf der Facebookseite etwas gelesen. Warum nicht?

Qian Sun: Doch, ich glaube das gibt es schon. Seit drei oder vier Jahren gibt es fast keine Videos von uns im Internet mehr. Alle unsere Berichte kann man über eine APP anschauen. Das bedeutet, wir haben ein bisschen mehr Freiraum, uns zu bewegen. Diese APP ist unabhängig vom ganzen System. Es ist schwieriger für die Regierung, dagegen vorzugehen.

Auf der APP kann man auch Berichterstattung über die Hongkong-Proteste sehen?

Qian Sun: Ja, kann man schon, aber noch mal: Das ist immer noch ein chinesischer Fernsehsender. Wir haben ein bisschen mehr Freiraum als die anderen Medien in China, aber unser Freiraum ist auch beschränkt.