Was hat Sie an dieser Rolle besonders gereizt?

IRIS BERBEN: Es war das Besondere an dieser Figur. Die Anfrage kam von Friedrich Ani, einem wunderbaren bayerischen Autor, der die Idee zur Serie hatte. Und dann habe ich relativ schnell zugesagt. Freya Becker, die Protokollantin, ist ein Mensch, der nahe an den Tätern sitzt, aber nicht eingreifen kann. Ich habe mich oft mit Drehbuchautorin und Regisseurin Nina Grosse zusammengesetzt, es war ein langer Weg, der über drei Jahre dauerte.

Es war eine Zeit, in der sich viel getan hat?

BERBEN: Ja, da haben sich in der Tat einige Kriterien erfüllt, darunter die Me-Too-Debatte. Ich betrete im Film eine Männerdomäne und führe ein dezidiert selbst bestimmtes Leben. Das war auch für die Sender neu, und es wurde oft gefragt: Wollen die Zuschauer das sehen? Ich sage: Ja, denn ich glaube, dass der Zuschauer durchwegs unterschätzt wird. Und für Schauspielerinnen ist es eine Chance, sich dem Publikum neu zu stellen.

Wie Sie als Freya Becker, mit ungeschminktem Gesicht?

BERBEN: Vieles kann man mit dem Gesicht und mit Reaktionen zeigen. Auch hier, denke ich, wurden die Zuschauer oft unterschätzt. Diese Freya ist ganz gewiss eine sehr reduzierte Rolle, aber mir hat es getaugt, dass man bei ihr in Blicken und in der Körpersprache lesen kann, dass keine langen, großen Dialoge nötig waren. Ich wusste zwar anfangs nicht genau, wohin die Reise geht, doch ich wurde von wunderbaren Kollegen unterstützt.

Im Prinzip gibt es bei Ihnen keinen Grund zur Klage, Sie haben sich ja eine sehr interessante Karriere aufgebaut?

BERBEN: Ich glaube nicht, dass man so was selbst bauen kann. Ich habe kürzlich etwas über Glück geschrieben, und das spielt schon auch eine große Rolle. Was ich selbst dazu tun konnte, war, mit sehr offenen und sehr wachen Augen durch die Welt zu gehen, wobei die äußere Wahrnehmung nicht jedes Mal identisch mit der eigenen war. Ich wurde immer von Zweifeln getrieben, was letztendlich sehr gut war, denn es zwingt zur Analyse. Positiv war sicher auch mein Wunsch, unabgesichert zu arbeiten, mich oftmals mit jungen Talenten einzulassen. Und so stehe ich nun immerhin seit 50 Jahren vor der Kamera. Aber ich habe nie in Dekaden gerechnet, sondern versuche, intensiv weiterzuleben, und das heißt: arbeiten.

Es ist aber jedenfalls ein toller Beruf?

BERBEN: Klar. Es ist ein elitärer Beruf. Nie ist es selbstverständlich, wo man sich gerade befindet. Es ist ein Beruf, der dir als Freigeist viel bietet. In deiner Neugierde, in deiner Suche.

Iris Berben in ihrer Rolle als Freya Becker.
Iris Berben in ihrer Rolle als Freya Becker. © (c) ORF (MOOVIE GmbH/Alexander Fischerkoesen)

Protokollantin  – gibt es diesen Beruf wirklich?

BERBEN: Es gibt ihn tatsächlich, ich habe das früher auch nicht gewusst, weil ich davon ausging, dass man mit heutiger Technik alles aufnehmen kann. Doch jede Geste, jedes Aufstehen und Niedersetzen – das ist es, was nicht aufgenommen werden kann. Und das kommt dann zusätzlich ins Protokoll.

Wie haben Sie es geschafft, all das, was für diese Rolle verlangt wurde, rüberzubringen?

BERBEN: Das ist in diesem Beruf ja unsere Aufgabe: Je älter du wirst, umso mehr weißt du über Abgründe, Einschnitte und darüber, wie und wo du dir Narben zugezogen hast. Freya Beckers brennender Wunsch in dieser Geschichte ist, zu wissen, was mit verschwundenen Mädchen passiert ist. Was dann geschieht, ist Teamarbeit, und am schönsten ist es, wenn man dabei zufällig mit Menschen zusammenkommt, die man schätzt. Denn allein die Tatsache, dass einer ein ergreifender Schauspieler ist, bedeutet ja nicht unbedingt, dass er auch ein guter Mensch ist. Bei Rollen wie Freya Becker ist es auch so: Du darfst keine Gefühle haben und dich dem Glauben und der Verführung hingeben, eh verkleidet zu sein. Nein: Das ist die Figur, die du b i s t! Und es gilt nur der Gedanke: Wie gehe ich damit um? Gut, dass es dabei auch Momente gab, wo wir lachen konnten. Ein sehr positives Zuckerl war zum Beispiel, dass mich bei den Dreharbeiten an verschiedenen Plätzen in Berlin bei meiner äußeren Erscheinung keiner wiedererkannte.

Wie wir im Verlauf der Geschichte erfahren, ist auch Freyas Tochter vor elf Jahren verschwunden. Wird sie dadurch zum Racheengel?

BERBEN: Verzweiflung und Rache sind eine unerlaubte Form der Gerechtigkeitssuche, aber das alles besteht ja nicht nur aus e i n e m Gefühl. Da kommt viel Unterschiedliches zusammen. Ich glaube nicht, dass alle Menschen in gewissen Momenten frei von Rachegedanken sind.

Die Serie wird trotz aller Emotionen nicht sehr laut erzählt?

BERBEN: Richtig, sie hat eine sehr ruhige Gangart, adäquat dem Stoff. Ich finde, die Melodie des Films stimmt. „Die Protokollantin“ zeigt, dass es viele Möglichkeiten serieller Erzählungen gibt.

In den letzten Jahren hat sich herauskristallisiert, dass es zusehends mehr und bessere Autoren für ungewöhnliche Geschichten gibt?

BERBEN: Ja, wir haben ganz hervorragende Leute. Wir müssen sie nur besser einbinden. Ich gehöre seit jeher zu Kämpfern und Verfechtern der Autoren.

Bei der „Protokollantin“ war Ihr Sohn Oliver Berben Produzent. Ein Vorteil?

BERBEN: Ach, da gibt es nicht allzu viele Berührungspunkte. Wenn es losgeht, kommt er ins Studio, sagt „Macht es gut“ und „Viel Glück“, danach taucht er kaum wieder auf.

Gibt es für Sie schon neues Projekt?

BERBEN: Ich bin mittendrin. Unter der Regie von Sherry Hormann drehe ich den Zweiteiler „Altes Land“. Nach einem Roman von Dörte Hansen, der ein ganzes Jahr auf der Bestsellerliste des „Spiegel“ stand und von dem eine Million Exemplare verkauft wurden. Darin gibt es eine Figur, die sich von 1945 bis heute durchzieht. Ich spiele sie im Alter von 50 bis 80.