Zweiter Tag bei European Newspaper Congress im Wiener Rathaus. Lesen Sie hier, worüber Verleger, Chefredakteure, Mediendesigner und Journalisten aus ganz Europa diskutieren und wo sie die Zukunft des Zeitungswesens sehen. 

Rainer Esser Case: „Ich sehe keine Grenzen“

Rainer Esser ist Geschäftsführer von „Die Zeit“. Im Rahmen des ENC wird er als Medienmanager des Jahres ausgezeichnet.

Vor 20 Jahren habe man bei der „Zeit“, anders als bei anderen Zeitungen und Magazinen, „in den Abgrund geschaut.“ Während andere im Luxus flogen, mussten Mitarbeiter im Hamburger Haus in der Holzklasse fliegen. Wenn man in diesen Abgrund geschaut hat, will man da nie wieder sein, erklärt Esser. Dies habe geholfen, sich auf die Schwierigkeiten, die andere Medienhäuer in den letzten Jahren bekamen, vorzubereiten.

„Guter Journalismus überlebt dann, wenn er sich auf seine Leser konzentriert.“ Man habe seine Abonnenten „zu Freunden gemacht“ und lässt sie, unter anderem über Whatsapp, an der redaktionellen Arbeit teilhaben.

Die wöchentlich erscheinende „Zeit“ bezeichnet Esser als „Mutterkuh“. Begleitet wird das Hauptprodukt durch zahlreiche andere Zeitschriften.

Ins Online-Geschäft stieg man bei der Zeit erst spät ein: Seit 2008 gibt es Zeit-Online und laut Esser verdiene man seit zwei bis drei Jahren damit Geld.

"Ich mag Amazon nicht und ich mag Alexa nicht": Esser sagt, er habe noch nie bei Amazon gekauft, weil er will, dass der Einzelhandel überleben kann. Mit Google geht er weniger hart ins Gericht: "Kooperieren ist vielleicht kein schlechter Weg." Immerhin könne man dadurch seinen Traffic erhöhen.

"Mein Feindbild ist die Datenschutzgrundverordnung, weil sie verhindert, dass wir im Internet Geld verdienen können."

Diskussion: Was wird aus Facebook? Die Zukunft einer unheimlichen Macht

Wofür wir Facebook dankbar sein dürfen und wo wir dringend Grenzen setzen müssen. Eine Podiumsdiskussion mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin, Netz-Experte und Autor Maximilian Schrems, Puls 4-Moderatorin und Autorin Corinna Milborn und Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser - unter der Leitung von Paul-Josef Raue.

Eine Zusammenfassung der Diskussion:

Krüger: Er möchte das Thema sachlich angehen: „Wir haben die Datenkrake erst zu dem gemacht, was sie ist“ und dabei die Kontrolle der Daten an Facebook abgetreten. Noch immer würden wir den Wert des Preises, den wir zahlen, weiter unterschätzen: jenen der personenbezogenen Daten.

Krüger stellt vier Thesen vor:

  • Facebook ist eine undemokratische Informationsmaschine.
  • Facebook bedient sich der Sprache der Agitation und der Propaganda - und profitiert davon.
  • Die Algorithmen der Sozialen Medien entziehen sich der öffentlichen Überprüfung. Die Intransparenz entzieht den Sozialen Medien die Aufklärung. Das Soziale Medium ist in Wahrheit individuell. Sozial ist nur, was sich in der Blase bewegt.
  • Facebook ist als Datenmonopolist noch immer ein amerikanisches Unternehmen. Liest man Trumps „America First“, müsse man bedenken, dass auch Facebook nicht „bodenlos“ sei.

Corinna Milborn: In Kürze, im Juni, werde sie ein Buch über Facebook veröffentlichen, eine der darin geäußerte These: Facebook ist keine Plattform, sondern ein Massenmedium, in dem Facbeook der Herausgeber ist und die Algorithmen übernehmen die Funktion der Chefredakteure übernehmen.

Milborn stellt die Frage, wie europäische Medienunternehmen mit Facebook umgehen und umgehen sollen. Es brauche mehr Kooperation.

Maximilian Schrems wird vorgestellt als jemand, der „Facebook nervt“. Schrems: Es sei extrem interesannt, die Monopolbildung aufzubrechen und verweist auf Strom- und Gasnetze. Aber im Internet geschehe dies bislang nicht. Es brauche offene Schnittstellen, um neuen Playern eine Chance zu geben, gegen Facebook anzutreten.

Wir hätten viele Regeln, aber die werden oft nicht eingehalten. Schrems kündigt an, ab 25. Mai, dem Tag an dem die DSGVO in Kraft tritt, gegen Verstöße vorgehen zu wollen.

Rainer Esser: „Facebook ist ein Marktplatz mit zwei Milliarden Menschen.“ Ein digitaler Ort der Informationen und Emotionen. „Dass es kriminelle auf einem Marktplatz gibt, das ist eben so."

„Wir arbeiten sehr gerne mit Facebook zusammen“, weil es große Anteile am Traffic habe, erklärt Esser. Wenn die Leute viel Zeit mit Facebook verbringen, sei das nicht das Problem von Facebook, sondern das Problem von, zum Beispiel, Zeit-Online.

„Das ist kein verbrecherisches System“, sondern ein Netzwerk, von dem Verlage viel lernen können. Es gäbe ein klares Votum: „Wir finden Facebook gut“.

Milborn spricht Esser auf den „Plattform“-Begriff an. Statt um eine Plattform handelt es sich laut Milborn um ein Medienunternehmen und entsprechend habe Facebook auch eine Verantwortlichkeit für die Inhalte, weil sie keinen Einfluss nehmen auf die Inhalte. Dies befeuere Hass, Lüge, Hetze und Fake News.

Esser kontert: Das Privatfernsehen habe den Zeitungen am meisten Geld weggenommen.

Milborn: In ihrem Unternehmen müsse sie sich an sehr viele Regeln halten, dürfe etwa Werbung und Inhalte nicht mischen. Facebook könne hier hingegen viel freier agieren. Es brauche eine Redaktion, die den Newsfeed ordnet.

Schrems betont, man müsse Soziale Netzwerke und Facebook in der Diskussion trennen und die Diskussion versachlichen. Nicht Algorithmen seien grundsätzlich schlecht, es komme darauf an, worauf sie ausgelegt sind.

Esser ortet eine Hexenjagd auf Facebook: „Für alles Böse, das aktuell auf der Welt stattfindet, ist Facebook verantwortlich.“ Es wird auf der Welt so viel Unsinn über privates Fernsehen verbreitet, nennt Fox News als Beispiel, und Facebook sei hier nur ein Faktor von vielen.

Milborn: „Freie Marktwirtschaft funktioniert nur dort, wo sich alle an die selben Regeln halten müssen“.

Raue erläutert in dem Zusammenhang, dass auch ein Sprecher von Facebook eingeladen war. Dieser habe allerdings wenige Tage vor der Veranstaltung endgültig abgesagt. Raue dankt in dem Zusammenhang Esser dafür, dass er das Thema auch aus Facebook-Seite betrachtet.

Esser findet den Begriff des „Gegen-Facebook“ „gaga“. Facebook stelle den Nutzer ins Zentrum und setze auf Engagement. Davon müssten andere Medienunternehmen lernen.

Schrems: „Facebook selbst hat keinen Inhalt“, führt Schrems an und verweist darauf, dass man nicht nur mit Daten, sondern vor allem mit Inhalten bezahlt. Alternative Netzwerke scheitern am Netzwerk – erst durch die Quantität würden diese interessant. Erst durch offene Netze wird eine Alternative möglich. Schrems sieht darin einen liberalen Zugang.

Was muss die Politik tun? Kruger: Sie muss sich die Regulierung stärker anziehen. Man brauche nicht mehr Monopol, sondern mehr Marktwirtschaft. Auch müsse mehr Widerspruch hergestellt werden und der Algorithmus müsse transparenter sein. Es gehe nicht um eine Verteufelung der Sozialen Medien. Der hohe Preis, den man aktuell für diese Angebote zahle, müsse besser kommuniziert werden. Wobei er bei Jugendlichen schon eine Trendwende sehe, weil diese Facebook nicht mehr nutzen.

Schrems: Es brauche mehr als Transparenz. Es gehe auch um die Frage, ob es Dinge gibt, von denen wir nicht wollen, dass sie passieren.

Milborn: Bei Medien gilt das Herausgeberprinzip, der die Herausgeber in die Verantwortung setzt, dass niemand verleumdet oder verhetzt wird. Dieses Prinzip müsse auf den Newsfeed angewendet werden.

Ausblick auf die Zukunft? Wie verändert sich der Facebook-diskurs in den nächsten zwei bis fünf Jahren?

Schrems hofft, dass es auf der Durchsetzungsebene bis dahin endlich Fortschritte gibt. Bislang gäbe es vor allem Diskussionen.

Esser: Gesetze, die da sind, beinhart durchsetzen und gleichzeitig viel von diesen Netzwerken lernen.

Milborn: Alle bis auf die großen Marken werden in den nächsten fünf Jahren weggefegt, wenn nicht rechtzeitig reagiert wird.

Krüger: Es werden neue Säue durchs Netzt getrieben. Fragen, die wichtig werden: Nutzen wir die Regulierungsmöglichkeiten, investieren wir genug in Bildung um die Mediennutzung zu schulen?

Raues aus Ausblick: Hoffnung, nächstes Jahr auch jemanden von Facebook zu erreichen.