Als die Kunstsammlerin Agnes Essl einmal im Krankenhaus lag, zeigte sie ihrer Freundin Martha Jungwirth ein riesiges Hämatom, das sich auf ihrem Oberschenkel gebildet hatte. „Schau dir das an, das musst du malen, damit ich es nicht vergesse. Außerdem sind das genau deine Farben“, erklärte die frisch Hüftoperierte. Die Künstlerin ließ sich nicht lange bitten und malte eine Reihe von Aquarellen, von denen eines sogar als Leihgabe im österreichischen Parlament landete – vermutlich als subtile und leider unverstandene Mahnung vor Blutergüssen jeglicher Art.

Fleischliches Rot, Magenta und Violett sind bis heute die Lieblingsfarben von Martha Jungwirth geblieben. Gleiches gilt für ihren Hang, Empfindungen der Realität spontan und konzentriert in poetisch-abstrakte Gebilde zu verwandeln. 1968 hatte die gebürtige Wienerin gemeinsam mit Franz Ringel, Peter Pongratz, Wolfgang Herzig, Robert Zeppel-Sperl und Kurt Kocherscheidt die Gruppe der „Wirklichkeiten“ gegründet und damit einen Kontrapunkt zur Kunstrichtung des Informel gesetzt. Statt „reiner Malerei“ setzten die Neuerer auf Gesellschaftsrelevanz und Wirklichkeitsbezug. Nach frühen Erfolgen auf der documenta (1977 und 1982) erhielt Jungwirth erst in jüngster Zeit breite Anerkennung, etwa im Zuge einer Personale in der Albertina 2018.
Ihr umfangreichstes Werk schuf die ehemalige Dozentin der „Angewandten“ ein Jahr später für die Staatsoper: ein 176 Quadratmeter großes „Trojanisches Pferd“, das dem Publikum vom Eisernen Vorhang entgegen wieherte. Allein die Vorlage für die monumentale Malerei erzielte bei einer Versteigerung 96.000 Euro – ein Indiz für Jungwirths wachsende Wertschätzung in einem noch immer von Männern dominierten Metier.

Martha Jungwirth vor ihrem Eisernen Vorhang in der Wiener Staatsoper
Martha Jungwirth vor ihrem Eisernen Vorhang in der Wiener Staatsoper © APA/ROLAND SCHLAGER


Am Montagabend wurde der Künstlerin im Wiener Leopold Museum der mit 30.000 Euro dotierte Große Staatspreis überreicht. Sie ist damit nach Maria Lassnig, Brigitte Kowanz und Renate Bertlmann erst die vierte Bildende Künstlerin, die vom Österreichischen Kunstsenat für diese Auszeichnung vorgeschlagen wurde. Laudator Hans-Peter Wipplinger hob beim Festakt Mut und Experimentierlust der 81-Jährigen hervor, während Senatspräsident Josef Winkler die „einzigartige Bildsprache“ der „Malerin von Weltformat“ lobte, die erst spät die ihr gebührende Anerkennung erfahren habe.