Was bleibt? Das ist nicht nur die Frage, die man sich am letzten Tag der Olympischen Spiele in Japan stellt, sondern eine bange Frage, die gerade in der Kunstwelt als unausgesprochenes Damoklesschwert über Künstlerbiografien schwebt. Apropos Japan: Die unbestritten berühmteste Künstlerin des Landes, Yayoi Kusama, braucht sich dahingehend keine Sorgen zu machen. Erstens, weil sie längst selbst für ihre Kunst vorgesorgt hat – eine von ihr gegründete Stiftung betreibt seit 2017 in Tokio ein Museum, das für die Ausstellung ihrer Werke auch nach ihrem Tod sorgen soll. Und zweitens gehören ihre Werke zum Inventar von Instagram. Kein Wunder, ihre Kunst ist das, was man gemeinhin „instagrammable“ nennt: bunt, exzentrisch, magisch. Selbst in der Hypervisualisierung von Instagram stechen ihre Kunstwerke aus dem übervollen Bilderkorb noch heraus. Wer zuletzt die noch bis Sonntag laufenden Retrospektive im Berliner Gropiusbau besucht hat, fand sich gleich eingangs in einem gigantischen Wald aus pinken Tentakeln wieder, die mit ihren ikonischen Polka Dots, also Punkten, übersät sind. Nicht auszudenken, es hätte hier ein Foto-Verbot gegeben.

Kusama im Gropius-Bau in Berlin
Kusama im Gropius-Bau in Berlin © (c) imago images/Eberhard Thonfeld (Eberhard Thonfeld via www.imago-images.de)

Rein oberflächlich betrachtet, ist ihre Kunst spektakulär, wer um den Motor ihres Tuns weiß, der sieht sie noch einmal mit ganz anderen Augen. Die heute 92-Jährige wurde 1929 in Japan geboren, das Land war damals ein Militärstaat, dazu kam ein sehr strenges Elternhaus. Schon als Kind litt sie unter Halluzinationen und Angstzuständen – und machte auch nie einen Hehl daraus. Ganz im Gegensatz zur japanischen Gesellschaft, die damals wie heute Privates und Persönliches nicht nach außen trägt, ist Kusamas Kunst nichts anderes als ihr Innerstes, das sie nach außen stülpt. Besonders eindringlich sind besagte Polks Dots, die sich, als Halluzinationen in ihrem Kopf beginnend, über Räume, Menschen und Objekte ergießen.

Kusama im Gropius-Bau in Berlin
Kusama im Gropius-Bau in Berlin © imago images/Eberhard Thonfeld (Eberhard Thonfeld via www.imago-images.de)

Ende der 1950er geht sie nach New York, lebt dort unter den widrigsten Umständen, geht mit ihren Bildern von Kunstraum zu Kunstraum hausieren und muss zwischendurch immer wieder in psychiatrische Behandlung. Die Kunst ist ihr Ventil und Pflaster: Körperlichkeit, Sexualität und ihr schwieriges Verhältnis zu letzterem ziehen sich durch ihre Kunst. In den 1960ern trifft sie mit ihren Nackt-Happenings und ihren Protesten gegen Homophobie und für Frieden einen Nerv der Hippies. Sie macht Mode, ein eigenes Magazin und weiß schon sehr früh um Selbstmarketing und richtige Vermarktung ihrer Kunst.

Insofern ist es stimmig, dass viele ihrer Werke auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung den Nerv einer Gesellschaft treffen, die die Selbstvermarktung zelebriert. Besonders beliebt bei Instagrammern sind ihre „Infinity Mirror Rooms“, die sie heute noch gestaltet – begehbare Räume und Kuben mit Gucklöchern, die mit Spiegeln und Lichtinstallationen für das ultimative Erlebnis sorgen: Als würde man in die Unendlichkeit einer fremden Galaxie blicken. Wobei so fremd sind sie nicht, es ist die Innenwelt von Yayoi Kusama, die seit 1977 freiwillig in einer psychiatrischen Klinik in Tokio lebt und täglich neue Werke schafft.