Es gibt in unseren Breiten unzählige Kirchen, Bildstöcke oder Pestsäulen, an denen wir ihren geschundenen Leibern begegnen. Der eine, zumeist ein adonishafter Jüngling, wendet sich mit verzücktem Blick zum Himmel empor, während sein entblößter Körper von zahlreichen Pfeilen durchbohrt erscheint. Der andere, durch Stock und Jakobsmuschel als Pilger erkennbar, deutet auf eine geschwürige Wunde an seinem Oberschenkel.

Wanddarstellung des Hl. Sebastian im Klagenfurter Dom
Wanddarstellung des Hl. Sebastian im Klagenfurter Dom © (c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)

Die beiden Heiligen Sebastian und Rochus sind, auch wenn sie längst ausgedient zu haben scheinen, bis heute in unserem Alltag präsent. Über Jahrhunderte hinweg haben sie den Menschen Hilfe versprochen, wenn wieder einmal tödliche Seuchen im Anmarsch waren. Schließlich soll der frühchristliche Soldat eine Hinrichtung durch Bogenschützen des heidnischen Kaisers Diokletian überlebt haben, während der Rom-Pilger aus Montpellier Pestkranke allein mithilfe des Kreuzzeichens geheilt haben soll. Später erkrankte der fromme Mann selbst an der Seuche und wurde von einem Hund und einem Engel gesund gepflegt. So erzählt es die Legende, zeigen es zahlreiche Darstellungen. Die wohl berühmteste hängt in der Scuola Grande di San Rocco in Venedig, ein Meisterwerk des großen Manieristen Jacopo Tintoretto.

25 Millionen Opfer

Eine erste Hochkonjunktur erlebten die beiden Pestheiligen in der Mitte des 14. Jahrhunderts, als in Europa 25 Millionen Menschen – rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung – dem Schwarzen Tod zum Opfer fielen. In dieser Zeit des rätselhaften Massensterbens entstanden auch die ersten Totentanzszenen. Sie zogen sich friesartig um die Wände von Kirchen und Beinhäusern und veranschaulichten den unausweichlichen Sieg des Todes über das Leben – in Kärnten etwa am Karner von Metnitz, wo halb verweste Tote die Lebenden zum ultimativen Tanz auffordern.

Der Totentanzfries am Karner von Metnitz
Der Totentanzfries am Karner von Metnitz © (c) Weichselbraun Helmuth

Höllenstürze und Strafgerichte

Dass man Epidemien, ähnlich wie Kriege und Naturkatastrophen, für eine Strafe Gottes hielt, führten später Künstler wie Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel vor Augen. Ihre Bilder zeigen albtraumhafte Strafgerichte und Höllenstürze mit feixenden Teufeln, fantastischen Mischwesen und drangsalierten Menschen. Albrecht Dürer orientierte sich in einem seiner berühmten Holzschnitte am biblischen Vorbild der Apokalyptischen Reiter, die am Jüngsten Tag über die Menschheit hereinbrechen. Unter den schrecklichen Vier befindet sich auch ein Bogenschütze, der mit seinen Pestpfeilen vom Kaiser bis zum Bettelmann alles niedermetzelt – eine Vorstellung, die bis in die Antike zurückreicht, als dem Gott Apollon dieses tödliche Geschäft zugeschrieben wurde.

"Die vier Apokalyptischen Reiter" von Albrecht Dürer, Holzschnitt  von 1497/98
"Die vier Apokalyptischen Reiter" von Albrecht Dürer, Holzschnitt von 1497/98 © KK

Erst mit der Aufklärung und den letzten großen Ausbrüchen von Pest und Cholera im 19. Jahrhundert versiegte die Flut der religiös inspirierten Angstbilder. Vereinzelt tauchen sie noch in dokumentarischen Gemälden auf oder im historisierenden Kontext, wie etwa im Bild „Die Pest in Florenz“, in welchem Hans Makart wollüstige Leiber im Todeskampf miteinander vereinte. Hitler war von der Gewalt des Gezeigten so fasziniert, dass er es von Mussolini aus Florentiner Privatbesitz beschlagnahmen ließ.

Zu den letzten großen Pandemie-Gemälden zählt Arnold Böcklins „Die Pest“ aus dem Jahr 1898. Es zeigt einen Sensenmann, der auf einem Drachen blind zum Schlag ausholt. Das Bild entstand zu einer Zeit, als in Indien gerade die Pest wütete, und gilt als späte Auseinandersetzung des Schweizers mit dem Tod zweier Söhne, die rund 40 Jahre zuvor an Cholera und Typhus gestorben waren. Mit seinen symbolistischen Bildern hat Böcklin nicht zuletzt den Surrealismus beeinflusst, der nun in unserem coronagebeutelten Alltag eine so unerwartete wie beklemmende Wiederkehr feiert.