Er lebt in Irland und den USA, seine Heimat Österreich liebt er. Der Schock-Maler Gottfried Helnwein will auch mit 70 mit gesellschaftskritischen Motiven aufrütteln. Die größte Gefahr sieht er nicht in Donald Trump, sondern in der "politischen Korrektheit". Mit seinen fotorealistischen Bildern von gequälten Kindern und Körpern hat Gottfried Helnwein viele Menschen aufgeschreckt. Eine Bild-Ikone ist sein Selbstporträt mit bandagiertem Kopf und Gabeln, die ihm in die Augen dringen. Der von Sammlern hoch geschätztee Österreicher ("Ich habe eine lange Warteliste") ist allein schon durch seine Kunst ein politischer Mensch - und ist alarmiert wie nie. Vor allem die von der "politischen Korrektheit" kanalisierte öffentliche Debatte ist ihm zuwider. "Sie ist das Ende der freien Rede", sagte der Künstler, der am Montag (8. Oktober) 70 wird.

Woran arbeiten Sie gerade?

Gottfried Helnwein mit zwei seiner Kinder
Gottfried Helnwein mit zwei seiner Kinder © ORF
Helnwein, bekennender "Donaldist"
Helnwein, bekennender "Donaldist" © APA

GOTTFRIED HELNWEIN: Momentan male ich mehrere Bilder mit Katastrophen-Szenarien. Es ist eine Kombination aus Kriegsszenen mit Explosionen und Comicfiguren.

Also bleiben Sie Ihrem Lebensthema Gewalt treu?

GOTTFRIED HELNWEIN: Wir leben in einer Zeit, einer sich immer schneller drehenden Gewaltspirale, wobei die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer mehr verschwimmen. Die virtuellen Katastrophen, die Darstellung von Gewalt in Filmen und Computergames sind von den Reportagen tatsächlichen Tötens und Sterbens in wirklichen Kriegen kaum zu unterscheiden. In der Regel sind sie sogar überzeugender als die Wirklichkeit. Das Thema der Gewalt gegen Wehrlose, vor allem gegen Kinder, ist ganz ganz am Anfang meiner Arbeit gestanden, als ich 1969 mein erstes Bild gemalt habe, und es hat mich bis heute nicht losgelassen.

Wie beurteilen Sie das politische und gesellschaftliche Klima?

GOTTFRIED HELNWEIN: Die aus Amerika kommende sogenannte "political correctness" ist eine Katastrophe. Sie ist das Ende der freien Rede. Wenn man mit einem einzigen Tweet seine Karriere zerstören kann, wird niemand mehr wagen, offen zu kommunizieren. Die Liste der Worte, die mittlerweile auf dem Index stehen, wird immer länger. In den USA werden immer mehr Werke der Weltliteratur, unter ihnen Mark Twains Meisterwerk "Huckleberry Finn", aus Schulen und Bibliotheken entfernt, weil den PC-Inquisitoren bestimmte Worte missfallen. Comedians wie Seinfeld und John Cleese weigern sich mittlerweile, in Colleges aufzutreten, weil sie sich nicht dem PC-Terror der Studenten aussetzen wollen.

Die sozialen Medien als Problem?

GOTTFRIED HELNWEIN: Die Allmacht der Social Media ist erschreckend. Jeder beliebige Lynchmob im Internet kann mit einem entsprechenden Shitstorm jede Person, die ihm nicht passt, vernichten. Ich halte es auch für einen schweren Fehler, große Teile der Bevölkerung pauschal als "Nazis", "Pack" oder "Abschaum" zu bezeichnen, nur weil es uns nicht passt, was sie wählen. Ich glaube nicht, dass es immer mehr Rassisten und Nazis bei uns gibt, sondern dass mehr und mehr Menschen Angst haben und ihr Vertrauen in die etablierten Parteien verlieren.

Die Dauerkrise um die Zuwanderung gilt als ein Grund für die Angst. Aus Ihrer Sicht berechtigt?

GOTTFRIED HELNWEIN: Wir reden immer nur über den zweiten Teil dieses Problems: Die Flüchtlinge oder Migranten, die bei uns ankommen. Der erste Teil dieses Problems - die Ursachen dieser modernen Völkerwanderung - werden komplett ausgeblendet. Die jahrzehntelangen Vernichtungsfeldzüge und Plünderungen der sogenannten Dritten Welt durch die sogenannte Erste Welt, vor allem durch das anglo-amerikanische Empire und seine Verbündeten, haben große Teile des Nahen Ostens und Afrikas praktisch unbewohnbar gemacht.

Wie informieren Sie sich?

GOTTFRIED HELNWEIN: Aus allen Quellen, an die ich irgendwie herankommen kann. Ich habe dabei keinerlei Skrupel. Aus allen englisch- und deutschsprachigen Medien, den offiziellen und alternativen, dem Internet und vor allem aus Büchern und Informationen aus erster Hand, das heißt durch Gespräche mit Menschen, die "dabei gewesen" sind.

Sie leben in Irland und den USA. Was sagen sie zu US-Präsident Donald Trump?

GOTTFRIED HELNWEIN: Trump ist wirklich ein erstaunliches Phänomen. Ich habe noch nie eine Person gesehen, die weltweit so massiv bekämpft wird wie er. Das Ganze artet mittlerweile zu einer totalen Massenhysterie aus. Alle tun so, als wäre die Welt bis dahin ganz in Ordnung gewesen, und als wäre erst mit Trump das Böse in die Welt gekommen. Ich frage dann gerne meine amerikanischen Freunde, wo wart Ihr denn die letzten Jahre? Als Bush Afghanistan und den Irak verwüstet und Millionen Tote hinterlassen hat? Als Cheney ganz offiziell die Folter wieder eingeführt hat? Wo wart ihr, als der Friedensnobelpreisträger Obama mit seinem Drohnenprogramm Tausende, darunter viele Kinder, töten ließ?


Trump ist also gar nicht so schlimm?

GOTTFRIED HELNWEIN: Trump ist eigentlich so etwas wie ein Augenblick der Wahrheit. Er ist der amerikanischste Präsident dieses Jahrhunderts, er ist der Präsident, den dieses Land verdient hat. Er ist ein Spiegel, in dem die Amerikaner sich selbst und den Zustand ihres Landes erkennen können. Er ist nicht das Problem, nur das Symptom.

Wie beurteilen Sie die Situation in Deutschland?

GOTTFRIED HELNWEIN: Sahra Wagenknecht ist sicher die intelligenteste Politikerin Deutschlands und wahrscheinlich Europas. Sie hat erkannt, dass die alten verkalkten Parteienstrukturen den Anforderungen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht werden können. Sie hat offensichtlich als Einzige kapiert, dass man die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen muss, und dass man das Thema Flüchtlings-Problematik nicht alleine den Rechten überlassen darf. Es muss auch eine breite Alternative geben für alle, die unzufrieden sind und einen Neuanfang wollen, jenseits von rechts.