Zahn um Zahn - das gehört doch der Vergangenheit an! Das denken sich die beiden Ehepaare in Yasmina Rezas Dauerbrenner "Der Gott des Gemetzels", als sich die Eltern nach einer blutigen Rauferei der Söhne zur Aussprache treffen. Im Theater in der Josefstadt dekonstruierte Torsten Fischer gestern, Donnerstag, in seiner roh anmutenden Inszenierung die ach so heile Eltern- und Ehewelt.

Es ist die große innere Leere, die sich in den Beziehungen der Ehepaare Houillé und Reille breitgemacht hat, die Fischer zum Hauptthema des 90-minütigen, pausenlosen Abends macht. Das wird schon rein optisch klar, wenn sich der Vorhang hebt und das mehr als karge Bühnenbild von Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer freigibt: ein ziemlich leeres Loft, das lediglich von einer überdimensionalen sandfarbenen Skulptur dominiert wird. Die schicken, aber doch sehr wackeligen Plexiglas-Designerstühle werden im Laufe des Abends noch für einige unbequeme Momente sorgen - denn wirklich wohl fühlt sich hier keiner.

In diesem Setting empfängt die Familie Houillé, deren elfjährigem Sohn von seinem Kontrahenten zwei Zähne ausgeschlagen wurden, das Ehepaar Reille. Nach kurzem oberflächlichem Abtasten geht es dann darum, den kindlichen Zwist auf rationaler Ebene auszubügeln. Dass das gehörig schief geht und schließlich die Brüche in den Persönlichkeiten der Erwachsenen verhandelt werden, machte dieses 2006 uraufgeführte und 2011 von Roman Polanski mit u.a. Christoph Waltz und Kate Winslet verfilmte Kammerspiel zum Kassenschlager.

Roh und nackt

Während Dieter Giesing das Stück vor zehn Jahren im Burgtheater in einer schrägen, weißen Gummizelle ziemlich glatt inszeniert hat, kommt Fischers Version nun roh und nackt daher: Kein Schnickschnack, der Text ist Gerüst und Verkleidung in einem. Da liegt es an den Schauspielern, die emotionale Entwicklung von beiläufiger Freundlichkeit über spitzen Sarkasmus bishin zum finalen Showdown zu stemmen. Und das tun Michael Dangl, Susa Meyer, Marcus Bluhm und Judith Rosmair mit viel Liebe zum Detail.

Als geschäftiger Anwalt einer Pharmafirma zelebriert Dangl die desinteressierte Beiläufigkeit, mit der ein Business-Vater lästige Familienprobleme lösen will. Fest mit seinem Handy verwachsen führt er permanent zwei Gespräche gleichzeitig. Das macht seine Ehefrau zunächst stolz, bald aber wütend. Susa Meyer gibt die hochnäsige Annette, der früh am Abend im wahrsten Sinne des Wortes das Kotzen kommt, souverän. Am anderen Ende des Statusgefälles bemüht sich das Ehepaar Houilé redlich, Gerechtigkeit für seinen geschädigten Sohn zu erwirken.

Judith Rosmair als öko-bewusster "Gutmensch" Veronique hält die Fassade relativ lange aufrecht, wird mit zunehmendem Alkoholkonsum jedoch auch mal unwirsch, was ihr einfach gestrickter Ehemann Michel (Bluhm) nur belächeln kann. Immer wieder verschieben sich die Allianzen. Mal verbrüdern sich die Männer gegen die Frauen, dann die Paare untereinander, nur um schließlich wieder die Lüge der eigenen Ehe zu verteidigen. Das ist oft ein Spaß und erntet im Publikum nicht selten wissendes Kopfnicken. Eine Neuinterpretation hat Torsten Fischer hier nicht geliefert, sein Vertrauen in den Text macht den Abend jedoch zu einem vergnüglichen Unterfangen.

S E R V I C E:  "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza im Theater in der Josefstadt. Regie: Torsten Fischer. Bühne und Kostüme: Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer, mit Judith Rosmair, Marcus Bluhm, Susa Meyer und Michael Dangl. Weitere Termine: 4., 12., 13., 28. und 29. Mai sowie 15. bis 17., 26. und 27. Juni. Karten unter Tel. (01) 42700-300 sowie unter www.josefstadt.org