„Frische Opern“ hat das Grazer Haus vor Jahren gegenüber dem Kaiser Josef Markt an seiner Außenwand affichiert. Der witzige Werbespruch erinnerte an die Flüchtigkeit der Gattung, an die Zeitgebundenheit von Interpretationen. Alte Inszenierungen erneut zur Diskussion zu stellen, empfiehlt sich daher nur mit erlesenen, besonders haltbaren Früchten.

Dmitri Tcherniakov hat seine Deutung der populären Tschaikowski-Oper 2006 in Moskau erstmals gezeigt. Die Jahre sieht man ihr nicht an, sie ist frei von Modischem, ihre Stärken liegen in der präzisen Personenführung. Tcherniakovs ausgefeilte Detailarbeit mit Chor und Solisten über die Jahre frisch zu halten, wird dem Haus noch einiges an Mühe bereiten.

Die Geschichte des eitlen Adeligen Onegin, der das verträumte Nachbarsmädchen Tatjana kühl verschmäht und erst begehrt, als sie ihm viele Jahre später als verehelichte Fürstin entgegentritt, ist zeitlos bewegend. Tcherniakov interessiert an dem Werk der Konflikt von Individuen in einer dekadenten, satten Gesellschaft. Er zeigt Einzelgänger, Künstler, Liebende und Lesende, die am dümmlichen Gelächter ihrer in Konventionen gefangenen Umgebung leiden und scheitern.

Deswegen ist der Slowakische Philharmonische Chor, der den Hauschor ersetzt, an diesem Abend fast immer präsent. Er sitzt schon schwatzend am Tisch, wenn sich der Vorhang hebt und bleibt auch, wenn Lenski, der von Freund und Freundin verschmähte Dichter, zum Duell antritt. Lachend, neugierig und dumpf umdrängen die Choristen das Geschehen, ohne zu merken, dass hier längst auf Leben und Tod gestritten wird. Erst als Lenski leblos auf dem Tisch liegt, mehr einem Unfall zum Opfer gefallen als dem gezielten Schuss seines Duellgegners Onegin, kippt die Stimmung. Die Gesellschaft friert ein, nur Lenskis frivole Freundin Olga wankt in konvulsivischen Zuckungen auf den Toten zu. Ein Bild namenlosen Schreckens.

Im Zentrum des Abends steht Nicole Car, Olgas Schwester Tatjana. Vom schwermütigen, romantisch verliebten Mädchen bis zur reifen Frau gestaltet sie mit Leidenschaft und herrlicher Stimme das Los der Protagonistin - ein umjubeltes Debüt der jungen Australierin, die diese Rolle schon an manch erstem Haus erproben konnte. An ihrer Seite debütierte der aus seinen Grazer Jahren bestens bekannte Andrè Schuen als neues Ensemblemitglied. Steif und stolz durchschreitet er den Raum, stets seiner stimmlichen und darstellerischen Verführungskraft bewusst. Am Ende bleibt von der Herrlichkeit des Dandys nur die samtige Stimmpracht.

Bogdan Volkov, der schon in Moskau dabei war, singt einen berührend innigen Lenski. Erstaunlich, dass er zum ersten Mal am Haus zu hören ist, wie auch Anna Goryachova als quirlige Olga und Dimitry Ivashchenko als souveräner Gremin.

Tomás Hanus arbeitet betörend schöne Details aus der Partitur heraus, wählt aber teilweise eigenwillige Tempi. Die Briefarie der Tatjana zerfällt ihm beinahe, anderes wirkt zerfahren, weil gar schnell angelegt.

Das Publikum dankte – trotz neuerdings abendfüllender Maskenpflicht ausführlich und begeistert für einen rundum stimmigen Opernabend.