Die Zeit jetzt sehe er „janusköpfig“, sagt Ulf Bästlein. Einerseits könne er sich in Ruhe Gedanken über die Welt im Allgemeinen und seine eigene Welt machen, etwa, wenn er im „Paradies“ sitzt, in seinem Refugium auf dem Oswaldiberg bei Villach, und auf die Karawanken blickt. Andererseits lerne man derzeit zwar kommunikationstechnisch sehr viel, „aber ordentlich Singen unterrichten über Zoom – das geht eigentlich gar nicht“, gesteht der 60-Jährige.

Für den aus Flensburg stammenden Bariton, seit dem Jahr 2001 Gesangsprofessor an der Grazer Kunstuniversität, gehen noch zwei weitere Leidenschaften wegen Corona gar nicht: Seine „Liedkunst“ in Husum (Schleswig-Holstein), ein Ausbildungsmekka, in das er mit dem Pianisten Charles Spencer seit 20 Jahren im Sommer junge Sänger und Pianisten lädt, musste er auf 2021 verschieben.

Detto jenes Festival auf Sylt, das Bästlein mitgründete und Ende April erstmals stattfinden hätte sollen. So wird Gustav Jenner (1865 – 1920) auf seiner Heimatinsel also erst 2021 gefeiert. Der Komponist, dessen Talent Tschaikowski erkannte und den Johannes Brahms in Wien als einzigen Schüler akzeptierte, hinterließ zwar ein umfangreiches Œuvre, geriet aber lange Zeit in Vergessenheit.

Völlig zu Unrecht, wie Bästlein jetzt mit einer CD eindrucksvoll unterstreicht. „Die Welt ist lauter Stille, nur mein Gedanke wacht“: Die Zeilen von Klaus Groth, wie Theodor Storm Textdichter der 39 Lieder auf dem Album, sind leitmotivisch für Jenners Liedkunst: Neben ein paar heiteren Ausreißern hängt meist der Schleier der Melancholie über den Miniaturen. Von Charles Spencer am Flügel feinsinnig assistiert, gibt Ulf Bästlein mit seinem elegant geführten Bariton und seinen tiefgängigen Deutungen Gustav Jenners romantischen Perlen Glanz. Eine schöne Entdeckung.

Gustav Jenner. Lieder. Ulf Bästlein (Bariton), Charles Spencer (Klavier). Naxos.
Gustav Jenner. Lieder. Ulf Bästlein (Bariton), Charles Spencer (Klavier). Naxos. © KK

Großes im Kleinen

ensemble minui, Klagenfurter Nonett aus Streichern und Bläsern
ensemble minui, Klagenfurter Nonett aus Streichern und Bläsern © Lex Karelly
ensemble minui. Act I. Opernsuiten für Nonett. Ars.
ensemble minui. Act I. Opernsuiten für Nonett. Ars. © KK

„minui (lat.): verschwinden, verkleinern, schrumpfen“. Aber beim ensemble minui ist nichts klein außer der Besetzung. Und schon gar nicht auf diesem bemerkenswerten Debüt. Denn die fünf Streicher und vier Bläser, vorwiegend im Kärntner Sinfonieorchester tätig, ließen sich von ihrem Klarinettisten Stefan Potzmann Opernsuiten von Strauss, Puccini und Dvořák auf die Instrumente schneidern. Die Arrangements sollen „wie Blicke durch Operngucker“ sein, und das Nonett gibt diese
fokussiert frei. „Rosenkavalier“, „Tosca“, „Rusalka“ – große Oper im Kleinen, klangschön und mit Verve gespielt. „Act 1“ lautet der Titel der CD. Auf „Act 2“ darf man sich schon jetzt freuen.

Reife Jungtruppe

Oberton String Octet, cooler Achter aus Graz (und der ganzen Welt)
Oberton String Octet, cooler Achter aus Graz (und der ganzen Welt) © Christian Jungwirth

Ein Lette, eine Slowenin, ein Ukrainer, ein Italiener, ein Russe, zwei Ungarinnen und mit dem Cellisten Floris Fortin ein Grazer. Im Ensemble selbst steckt also schon viel slawische Seele. Die lässt das Oberton String Octet nun auch auf CD schwingen. Und wie! Der so junge wie famose Achter, der sich an der Kunstuniversität Graz gefunden hat, steigt hochdynamisch mit Dmitri Schostakowitschs Opus 11 ein, das er mit 18 schrieb und von erstaunlicher Reife ist. Eine solche beweist auch die coole Streichertruppe, die den Mut hat, beim CD-Debüt zwei Raritäten auszupacken. Das Doppel-Quartett von Nikolay Afanasyev von 1872 und Reinhold Glières Oktett von 1903. Kammermusik mit Herz und Hirn. Chapeau!

Oberton String Octet. Slavic Soul. Ars.
Oberton String Octet. Slavic Soul. Ars. © KK