Ist „Fidelio“ – ungeachtet der genialen Musik – überhaupt eine gelungene Oper? Bis heute lässt sich darüber streiten, ob der charakteristische Humanismus Beethovens hier nicht zum steifen Ideendrama geronnen ist, wo Gedankenkonstrukte über die Figuren gestülpt werden. Und deren Pathos (wie so gut wie immer in Beethovens Vokalmusik) für heutige Ohren einfach irritierend sein muss.

Die Urfassung „Leonore“ macht die Probleme nicht geringer, vor allem weil der Dirigent sinnvolle Verbindungen zwischen den singspielhaften Teilen und dem Vollgas-Pathos stiften muss. Tomás Netopil am Pult des Staatsopernorchesters bemüht sich mit Erfolg, die Biedermeierlichkeit von Roccos Wach- und Schließgesellschaft musikalisch zu unterminieren: Die nervöse Spannung, die er über Marzellines Auftrittsarie, ihrem Duett mit Jaquino, Roccos Arie und den beiden Trios legt, führt die Brüchigkeit dieser spießbürgerlich maskierten Unrechtsgesellschaft vor Ohren. Nach einer eher kraftlosen Ouvertüre hätte man sich so viel akkurate Durchdringung nicht mehr erwartet.

Netopil gelingen dazu starke, lyrische Momente und intensive Modellierungen, aber der dramatische Puls dieser nicht immer ideal präzise musizierten „Leonore“ setzt bisweilen aus, auch weil der Dirigent die Klangausbrüche eher verwaltet, als zum Glühen bringt.

Recht wenig Glanz auch bei den Stimmen, obwohl Bass Falk Struckmann einen tief beeindruckenden Rocco singt und Benjamin Bruns einen schlanken, doch kraftvollen Florestan gibt. Chen Reiss brilliert mit lyrischen Bögen, gibt der Marzelline aber auch herbe Dramatik. Jörg Schneider singt einen soliden Jaquino, während Thomas Johannes Mayer vom Bösewicht Pizarro völlig überfordert ist. Ein Tyrann ohne Autorität oder gar Dämonie.

Das doppelte Leonorchen

Bliebe die Titelfigur, die Regisseurin Amélie Niermeyer in zwei Leonoren spaltet: Das Trauma der Verhaftung ihres Mannes war’s. Niermeyer zeigt in den Dialogen zwischen Sängerin Jennifer Davis und Schauspielerin Katrin Röver die Zweifel und inneren Konflikte der Figur. Das kann man machen, wobei jedoch allzu viel Psychologie dieser Oper noch nie gutgetan hat: Dass Niermeyer die persönliche Tragödie zweier Eheleute in den Mittelpunkt rückt, ist eigentlich schwer mit Beethovens Intentionen vereinbar. Die Gattenliebe in „Leonore“ ist ja eher Symbol für eine viel universeller gedachte, idealisierte Menschenliebe, sodass sich das Stück dagegen sträubt, zum Ehedrama umgebogen zu werden.

Sonst ist die Aufführung, wo ein Bahnhof als Ersatzgefängnis dient, samt Gefangenenchor, Drangsalierungen durch Wärter und vergeblichen Liebesmühen recht konventionell angelegt. Dass das Premierenpublikum die Regie mit heftiger Ablehnung bedachte, dürfte am umgedeuteten Schluss gelegen haben: Niermeyer versagt Leonore und Florestan ein Happy End. Sie lässt Leonore beim Rettungsversuch sterben, und das Deus-ex-Machina-Finale im Glitter- und Glitzerlook ist nur ein bizarrer Wunschtraum, den ihre Agonie gebiert.

Katrin Röver spielt ihren Part tadellos, Jennifer Davis bleibt an entscheidenden Passagen stimmlich zu blass. Obwohl es hoch an der Zeit war, dass auch die Staatsoper den „Fidelio“ durch „Leonore“ ergänzt, bleibt die ganze Sache: zwiespältig.