Dem 1943 in Riga als Sohn des Dirigenten Arvid Jansons geborenen Künstler war das Äußerliche fremd, seine Interpretationen lebten von ihrer Innenspannung, ihrer enormen Konzentration. Klangschönheit und Intensität waren bei Jansons kein Widerspruch. Das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks etablierte er in der Weltspitze, das Concertgebouw Orchestra Amsterdam hielt er dort.

Sein Leben war immer von Musik geprägt: Nach Studien in Österreich bei Herbert von Karajan und Jahren als Assistent bei Evgenj Mrawinsky ging er 1979 in den - damaligen - Westen, um Chef der Osloer Philharmoniker zu werden.

In den späten 80ern und den 90er-Jahren sorgte er mit seinem Aufnahmezyklus von Schostakowitsch-Symphonien für Aufsehen. Er blieb die dirigentische Kapazität in Sachen Schostakowitsch, was er 2017 auch noch einmal bei den Salzburger Festspielen bestätigte: Die von ihm dirigierten Aufführungen von Schostakowitschs Operndrama "Lady Macbeth von Mzensk" vibrierten vor Spannung. Im Sommer 2020 hätte Jansons die Produktion "Boris Godunow" bei den Salzburger Festspielen dirigieren sollen. Nachdem Markus Hinterhäuser zum Intendanten in Salzburg wurde, war Jansons ein Stammgast an der Salzach geworden.Doch Jansons war beileibe kein Schostakowitsch-Spezialist, sondern Allrounder. Seine Beethoven- und Mozartdeutungen sind ebenso überragend wie seine Strauss- und Tschaikowsky-Interpretationen. Egal ob Schubert, Brahms, Dvorak, Bruckner: Der Klassikkanon wurde bei Jansons zur Gegenwartsmusik. Seine drei  Auftritte beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2006, 2012 und 2016 zählten zu den Höhepunkten der Neujahrskonzerthistorie. Simon Rattle, lange Jahre Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, brachte es einmal auf den Punkt: „Er ist der Beste von uns allen!“

Jansons späte Jahre waren von einem Herzleiden überschattet, das ihm immer wieder Zwangspausen bescherte. Erst im November hatte er Konzerte in Wien absagen müssen. Nun verstarb er in seinem Wohnhaus in St. Petersburg, im Alter von 76 Jahren.

Es ist bezeichnend, dass der ironiebegabte Jansons weniger mit einem Stil verbunden wird. Er drückte der Musik keinen Stempel auf, sondern war ein Diener der Kompositionen, die er aufführte. Er hielt die Balance aus Detailfreudigkeit und großen Bögen, er offenbarte gleichermaßen Schönheiten und Abgründe, er suchte nie den Effekt, immer das Gefühl. Er war der Dirigent, der (nach dem Diktum T. W. Adornos) gewissermaßen die Wirkung ohne Ursache verabscheute. Seine Interpretationen waren oft geschmeidig und doch voller Akzente, kraftvoll, aber nie pompös. Wer das Glück hatte, ihn live zu hören, vergaß dieses Erlebnis nicht. Sein enormer Rang ist zum Glück ausführlich dokumentiert: Es gibt zahlreiche CD-Aufnahmen, die Jansons' Genialität bezeugen. Einem Genie, dem es sicher peinlich gewesen wäre, als solches bezeichnet zu werden.