Am 23. April 1989, drei Monate vor seinem Tod, trafen sich Herbert von Karajan und die Wiener Phlharmoniker im Goldenen Saal des Musikvereins für ihre, wie sich später herausstellen sollte, letzte Aufnahme, gewimdet ddm Symphonie Nr. 7 von Anton Bruckner. Als hätte man das Kommende geahnt, wurde es eine tränenschwere Aufführung. Eine in den unvergleichlichen Karajan’schen Schönklang gekleidete Elegie, die das Werk als verglimmende Abendröte mitteleuropäischer Symphonik interpretiert.

Dabei war Karajan kein Romantiker, sondern der modernste aller Orchesterleiter des 20. Jahrhunderts. Ein Jet-Set-Dirigent, wie es ihn davor nicht gegeben hatte: Ein Mann mit Hang zu Sportwägen, Flugzeugen und Jachten, der – natürlich – ein Model (damals sagte man noch Mannequin) ehelichte. Dass der 1908 in Salzburg geborene Pultstar einen Technik-Fimmel hatte, zeigte sich auch in seinem Musizieren. Kaum ein anderer Dirigent war so an den technischen Innovationen der Branche interessiert. Und das bis ins hohe Alter, war er doch einer der ersten Fürsprecher der CD.

Neuheiten im Video- und Audiobereich wie die Digitalisierung waren ihm Mittel zur Perfektion. Eine Perfektion, die etwa in dem von ihn inszenierten Konzertfilmen besonders stark zur Geltung kommt. Eine Perfektion, die in ihren schlechteren Momenten zur Sterilität führte. Christa Ludwig sagte einmal treffenderweise: „Leonard Bernstein war Musik, Karajan machte Musik.“

Der machtbewusste und perfektionssüchtige Karajan, der als junger, aufstrebender Dirigent im Nationalsozialismus opportunistisch seine Chancen wahrnahm, stieg nach dem Weltkrieg innerhalb kürzester Zeit zum „Generalmusikdirektor Europas“ auf. Chef der Berliner Philharmoniker, Leiter der Wiener Staatsoper, bei den Salzburger Festspielen, eine prägende Figur in der zunehmenden Internationalisierung der Klassikwelt. Er war ein einzigartige Mischung aus Künstler, Manager und Eigenvermarkter, der wenig von der Aura der alten Meister hatte, jenen Dirigenten wie Wilhelm Furtwängler, Bruno Walter und Otto Klemperer, die noch die Kinder einer mitteleuropäischen Kulturära waren, der von Moderne, Faschismus und Weltkriegen ein Ende gesetzt worden war.

Aufbauend auf dem subventionierten Klassikbetrieb der Nachkriegszeit schuf Karajan ein wirtschaftliches Imperium, war einer der großen Proponenten der damals unheimlich mächtigen Musikindustrie, die später etwa das Programm der Salzburger Festspiele diktierte. Zwischen Salzburg und Tokio entwickelte sich ein unglaublicher Kult um den Künstler-Magnaten mit der charakerstarken Frisur.

Karajans Ästhetik der Wirtschaftswunderjahre steht so deutlich im Zeichen an den Fortschrittsglauben, dass sie schon zu seinen Lebzeiten in die Kritik geriet. Schönklang, effektvolle Dramatik und auf Hochglanz polierte Oberfläche wurden vielen der nachgeborenen Künstler- und Hörergenerationen zum Gräuel. Karajan war der prägende Vertreter jener „Väter-Generation“, gegen deren Kunstverständnis man rebellierte.

Viele seiner Aufnahmen sind aus der historischen Distanz eher Ausdruck des Zeitgeschmacks als von ewiggültiger Genialität. Doch Karajans Schönheit ist nicht verwelkt, man kann sein Genie an vielen Stellen neu entdecken: etwa bei den Opernaufnahmen mit der Callas und seinen unvergleichlichen Puccini- und Wagner-Dirigaten, seinen Aufnahmen der Klassiker aus den 1960ern – und eben auch bei den Bruckner-Aufnahmen, wie jener letzten, jenem finalen Aufflackern eines beispiellosen Künstlerlebens.