2012 hat Regisseur Stephanus Domanig seinen Film "Just Ballet" veröffentlicht, für den er ein Jahr lang eine Klasse der Wiener Ballettakademie begleitete. Angesichts der aktuellen Diskussion um die Lehrmethoden der Traditionsschule sprach der Filmemacher mit der APA über den Zeitgeist gegen Elitensysteme, die Ambivalenz des Themas und Probleme großer Institutionen, Reformen auf den Weg zu bringen.

Sie sind für Ihren Dokumentarfilm tief in das System der Ballettakademie eingetaucht. Sind Sie von der aktuellen Debatte über die Usancen der Schule überrascht?

Stephanus Domanig: "Just Ballet" zeigt aus beobachtender, wertfreier Perspektive die Härte der Ballettausbildung, die man sich als Außenstehender nicht vorstellen kann. Als unser Film damals auf 3sat lief, hatten wir eine sehr gute Quote. Das Feedback war ausnahmslos positiv, und es gab keine Rückmeldungen, die die Art der Ausbildung dieser jungen Tänzerinnen infrage gestellt hätten. Aber es ist mir auch während der Dreharbeiten nichts in der nun thematisierten Form untergekommen, sonst hätte ich es damals wohl angesprochen.

Wie erklären Sie sich, dass der Umgang mit den Schülerinnen jetzt zu einer breiten Debatte wird?

Domanig: Ich glaube, es entspricht unserem Zeitgeist, dass die Gesellschaft sensibler geworden ist und mit anderen Augen auf alle Elitensysteme blickt. Der Anlass mag die Ballettschule sein, aber letztlich diskutiert man etwas anderes. Die Frage, die sich die Gesellschaft stellen muss, ist, ob man diese stark leistungsorientierten Ausbildungen haben möchte. Auch der Begriff "Leistung" wird da zu diskutieren sein. Und es muss klar sein, dass es kein Ballett in dieser Form gibt, wenn man nicht sehr früh mit einer derartigen Ausbildung beginnt. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich Fehlverhalten im Umgang mit diesen Jugendlichen gutheiße. Natürlich nicht, und das muss lückenlos aufgearbeitet werden. Aber das Thema hat wohl eine große Ambivalenz, und es gibt da keine schnellen, einfachen Antworten.

Sie sehen die Debatte also nicht aufs Ballett beschränkt?

Domanig: Wie will man mit Leistungssport und allgemein mit jenen Bereichen umgehen, in denen Kinder und Jugendliche sehr früh einen derartigen Weg einschlagen oder einschlagen müssen, um ein Ziel zu erreichen? Alle diese Institutionen werden sich diese Fragen stellen müssen, mit denen sich die Ballettakademie nun konfrontiert sieht. Man muss nur aufpassen, dass man dabei das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.

Sind die Jugendlichen in dieser Hinsicht Getriebene oder selbstbestimmt?

Domanig: Ich hatte damals von den Mädchen den Eindruck, dass sie sehr starke Persönlichkeiten und für ihr Alter unheimlich reif sind. Sie wollen ihren Traum verwirklichen und sind bereit, dafür ihre Jugend zu opfern - teils gegen den Willen der Eltern. Bei Jugendlichen, die dann noch dazu in die Pubertät kommen, reicht es nicht mehr, die typische "Ballettmami" daheim zu haben. Ab einem gewissen Punkt muss das ein Kind wirklich wollen, sonst wird es diese Bereitschaft nicht aufbringen. Aber das ist beim Ballett nicht anders, als wenn jemand Fußballer oder Konzertpianistin werden will. Auch Marcel Hirscher hatte vermutlich nicht immer Lust, am Hang zu stehen. Aber er hat es durchgezogen.

Muss ein solches System den Betroffenen schaden?

Domanig: Nein, schaden soll und darf keine Schule. Aber es gibt sicherlich Situationen, in denen man dabei an Grenzen stößt. Was für die eine noch positiver Druck bedeutet, kann bei dem anderen schon negative Folgen haben. Natürlich ist das eine elitäre Ausbildung in einem kompetitiven System, das auf unterschiedlichen Ebenen viel von ihnen verlangt. Da gehören Unsicherheiten und Krisen auch dazu. Und das in einem Alter, das ohnehin nicht leicht ist. Man muss mit 14 Jahren nicht Ballett tanzen, und dennoch steht die Welt bisweilen Kopf. Aber eine Schule muss natürlich für ein entsprechendes Umfeld sorgen, das mit solchen Situationen umgehen kann.

Haben Sie den Glauben, dass sich in der Ballettakademie durch die aktuelle Debatte etwas ändern kann?

Domanig: Ich habe den Eindruck, dass große Institutionen mit großer Tradition sich prinzipiell schwerer tun, Reformen auf den Weg zu bringen und im 21. Jahrhundert anzukommen. Aber zumindest scheint aufseiten der Staatsoper nun die Bereitschaft sehr groß, wirklich etwas zu verändern. Und dass man bestimmte Dinge professionalisieren will, ist sicherlich gut und wichtig.

Der Regisseur Stephanus Domanig
Der Regisseur Stephanus Domanig © KK