Einen Saisonstart ohne Risiko hat das Theater an der Wien am Samstag hingelegt: Georg Friedrich Händels fantastische Oper "Alcina" wurde dabei so karg inszeniert, dass selbst die härtesten Skeptiker kein Haar in der Suppe finden konnten. Die kreuzbrave Deutung von Tatjana Gürbaca, der am Ende etwas Zauber fehlte, erhielt freundlichen Applaus. Bejubelt wurden die Solisten und der Concentus Musicus.

Am Stoff konnte es nicht liegen: Als Teil von Ludovico Ariosts Ritterepos "Orlando furioso" liefert auch "Alcina" eine Vorlage an exotischen Bildern, Wünschen und Ängsten, bei denen sich jeder Psychoanalytiker die Hände reiben dürfte: die sinnlich nicht satt zu kriegende Zauberin, die ihre Liebhaber in Tiere verwandelt, durcheinander gewürfelte Geschlechterrollen, eine Gesellschaft im surrealen Ausnahmezustand und das Entkommen aus der Insel-Isolation.

Szene aus "Alcina"
Szene aus "Alcina" © APA/HERWIG PRAMMER (HERWIG PRAMMER)

Ein karges Bild, das Regisseurin Gürbacas und Ausstatterin Katrin Lea Tag drei Akte lang auf der Drehbühne rotieren lassen: Ein paar Felsen, ein trockenes Bäumchen, hin und wieder Wind und Wetter samt Bühnenregen und Pyroeffekten. Ansonst wird sich zum Weitertreiben der Handlung mit Modellschiffchen beholfen, unfreiwillig komisch wird es, wenn sich die chronisch liebeskranken Protagonisten das Herz aus der Brust reißen oder Tiermasken an einen Perchtenlauf erinnern.

Für den roten Faden sorgen die Protagonisten. Marlis Petersen gibt die Titelrolle - trotz knapp zuvor zugezogenem Hexenschuss - überdreht und gesanglich solide. Stimmlich noch fokussierter ist Katarina Bradic als Bradamante. Der australische Countertenor David Hansen geht in seinem Ruggiero stimmlich auf, der St. Florianer Sängerknabe Christian Ziemski beweist als der seinen Vater suchende Oberto Stimm- und Selbstsicherheit auf der Bühne.

Marlis Petersen als "Alcina"
Marlis Petersen als "Alcina" © APA/HERWIG PRAMMER (HERWIG PRAMMER)

Die hat der Concentus Musicus Wien natürlich auch. Wobei es Stefan Gottfried selbstverständlich nicht leicht hat, die Arbeit seines Vorgängers Nikolaus Harnoncourt als Leiter des Originalklang-Ensembles nahtlos fortzuführen. Trotz einiger Unstimmigkeiten bei Ausgewogenheit und Tempo ging er sorgsam mit der Partitur um. Ebenso ein weiteres Mal der Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner, dem das Stück leider nur wenig Auftrittsmöglichkeiten bietet.

Ganz oben auf der Liste der zahlreichen Händel-Produktionen im Theater an der Wien wird sich die neue "Alcina" nicht einreihen. Als bisher unübertroffen gilt dabei etwa Christof Loys Interpretation von "Giulio Cesare in Egitto" aus dem Jahr 2007. Dass sich das Haus dem Werkkatalog Händels abwenden wird, ist aber ohnehin nicht zu erwarten.