Ich trinke Rotwein. Nur Rotwein ist Wein. Ich bin so quasi eine Rotweinkomponistin.“ Das sagte sie uns vor 25 Jahren bei einem Interview. Ausgerechnet sie, die Weststeirerin! Damals hatten wir Olga Neuwirth in unserer Reihe „Künstler von morgen“ vorgestellt. War aber auch nicht schwer zu prophezeien, hatte sie doch schon als Gymnasiastin beim Jugendmusikfest Deutschlandsberg, einer „Außenstelle“ des steirischen herbsts, ihre Außergewöhnlichkeit unter Beweis gestellt.

Damals war die Tochter des Jazzpianisten Harry Neuwirth und Nichte des Komponisten Gösta Neuwirth ein frecher Punk, lernte Schlagzeug und Trompete. Wegen einer bei einem Autounfall erlittenen Kieferzertrümmerung konnte sie sich jedoch ihre Sehnsucht nicht erfüllen, „ein weiblicher Miles Davis zu werden“.

Dann also Komposition: 1985 assistierte sie in Deutschlandsberg Hans Werner Henze bei der sozialutopischen Oper „Robert der Teufel“. Das Libretto nach einer weststeirischen Sage schrieb Elfriede Jelinek. Die damals entstandene enge Freundschaft zur späteren Nobelpreisträgerin hält bis heute, und Jelinek arbeitete bei zentralen Werken Neuwirths mit, wie „Bählamms Fest“, „Totenauberg“, dem „Sportstück“ sowie bei „Lost Highway“ nach David Lynchs Psychothriller, uraufgeführt 2003 im Grazer Kulturhauptstadtjahr.

„Indem sie da ist, gibt sie sich selbst frei zu kommen“: So charakterisiert Jelinek die unbändige Kreativität Olga Neuwirths, die ihre Werke selbst wegen des pessimistischen Grundtons oft „Katastrophenmusik“ nannte.

Paraphrase auf Heinrich Gross

Dieser Pessimismus war und ist aber auch immer Treibstoff für die Komponistin, zum Beispiel, um sich im ellenbogenharten „Boys Club“ der Branche durchzusetzen. Oder um abgewürgte Kompositionsaufträge zu verdauen wie seinerzeit bei den Salzburger Festspielen und der Wiener Staatsoper: „Der Fall Hans W.“ war 2006 zunächst als „Don Giovanni“-Paraphrase auf den NS-Psychiater Heinrich Gross gedacht, dann auf den wegen Anstiftung zum Mord und Pädophilie verurteilten Kinderarzt Franz Wurst.

„Jelinek und ich wurden damals entsorgt“, erinnerte sich Neuwirth, als sie doch eine Uraufführung im Haus am Ring, die erste einer Frau, für Dezember 2019 ankündigte: Ihre Oper „Orlando“ nach Virginia Woolfs Roman wird sich um Liebe, Geschlechtsidentität und künstlerische Kreativität drehen.

Inzwischen führt die Crème de la crème der Avantgarde weiterhin Werke der Klangsucherin auf, die mit ihren so irritierenden wie irisierenden Ideenpuzzles aus Partikeln, Zuckungen, Wucherungen immer neu überrascht - heuer etwa noch in München, Frankfurt, Hamburg, London oder Los Angeles.

Radioschwerpunkt

Heute widmet der Sender Ö 1 der leidenschaftlichen Grenzgängerin einen Schwerpunkt: mit einem Mitschnitt von „Le Encantadas“ (einer Klanghommage an ihre Wahlheimat Venedig, 19.30 Uhr) und einem Zeit-Ton-Porträt (23.03 Uhr).

Und morgen feiert sie ihren 50er. Hoch das Glas auf Olga Neuwirth! Rotwein natürlich!