Eigentlich hat er sich 2013 aus gesundheitlichen Gründen (nach einer schweren Kehlkopfentzündung) von seiner Gesangskarriere verabschiedet. Uneigentlich ist er jetzt wieder da. Mit seinem Trio und der NDR Bigband hat Thomas Quasthoff, unter dem Titel „Nice ’n’ Easy“, eine persönliche Auswahl an Jazz-Klassikern aufgenommen. Und er geht damit sogar auf die Bühne. Wer ihn in Österreich live erleben möchte, hat zwei Gelegenheiten: Am 18. Juni tritt er mit Trio im Grazer Musikverein auf, am 3. Juli mit Trio und Bigband, beim Jazz-Fest in der Wiener Staatsoper.

Herr Quasthoff, mit der Jazz-CD gehen Sie sozusagen an Ihre Roots zurück. Wie erklären Sie Ihren Rücktritt vom Rücktritt?
Thomas Quasthoff: Damit, dass die Stimme wieder da war und dass mich alte Freunde animierten, unter ihnen Frank Chastenier, der alte Hugenotte, der auf „Nice ’n’ Easy“ auch mitspielt. „Tommy“, hat er gesagt, „wir lassen dir alle Töne so transponieren, dass es für dich gut ist!“ Ein weiterer Anreiz war die Bigband. Aber niemand soll glauben, der Quasthoff habe den Jazz neu erfunden. Die Deutschen kommen immer mit Begriffen wie Ziel, Absicht, Programm. Nein, ich habe das gesungen, weil es mir Spaß machte. Da waren ein paar schöne Songs, und ich habe versucht, sie so gut wie möglich zu singen. Freilich ist eine CD eine gute Grundlage. Live, das werden die Leute in Graz und an der Staatsoper merken, singe ich anders. Jedenfalls: Dank der CD trudelt Angebot um Angebot ein.

In Österreich ist Graz die erste Stadt, die Sie mit Jazzrepertoire besuchen. Was verbinden Sie mit Graz?
Thomas Quasthoff: Ein wunderschöner Ort. Ich durfte sogar bei der styriarte auftreten. Und Harnoncourt, Harnoncourt, Harnoncourt. Den habe ich zutiefst geliebt und bewundert. Er und sein Concentus Musicus waren für Jahrzehnte maßgebend. Ein großartiger Mensch und ein Wissender, den wir alle sehr vermissen. Seine Frau bewundere ich auch sehr und die Art, wie sie ihr Leben in seine Dienste gestellt hat. Meine Frau macht das auch so. Übrigens: Ein hübscher Kerl war er auch, der Harnoncourt. Mich hat er immer an den jungen Maximilian Schell erinnert.

Was fällt Ihnen zum Stichwort Wiener Staatsoper ein, an der Sie auch gesungen haben?
Thomas Quasthoff: Ich finde es schade, dass Dominique Meyer geht. Aber Wien war schon immer groß, wenn es darum ging, Leute abzusägen. Das sind halt alles immer auch Machtspiele. An so was hatte ich nie Interesse. Fremdgehen, das gehört auch zu den Machtspielen. Vielleicht habe ich es deswegen nie gemacht. Und das ist ja auch anstrengend. . . Außerdem: I love my wife, es gibt keine Bessere. Kennen gelernt habe ich sie übrigens in Wien. Sie hat zum Beispiel jetzt den ganzen Umzug ins neue Haus gestemmt. Für so was fehlt mir ein Gen. Vor ein paar Jahren haben sie mich gefragt, ob ich Hochschul-Rektor werden möchte. Aber: Wenn ich schon einmal den Löffel abgebe, habe ich mir gesagt, dann möchte ich die Zeit nicht mit Verwalten vergeuden, darin bin ich schrecklich. Also macht es meine Frau. Ich weiß gerade noch, wie viel Geld ich auf dem Konto habe.

Wie sehen Sie die Entwicklung auf dem klassischen Sektor?
Thomas Quasthoff: Die Politik kürzt immer im künstlerischen Bereich, dabei bilden wir heute mehr Leute denn je aus. Da sollte man immer wieder mahnen. Meine Tochter ist 19, und ich frage mich oft bange: In welche Welt entlassen wir diese jungen Menschen? Diese Generation hat es sehr viel schwieriger, als wir es einmal gehabt haben. Und dann wundere ich mich auch über die Politik mancher Tonträger-Konzerne. Da passieren Sachen, die ich ganz schlimm finde. Nein, noch schlimmer. Alles ist so kurzfristig geworden. Es fehlen die Visionen. Es ist wie im Fernsehen. Junge Künstler können sich nicht mehr etablieren. Und von Künstlern, die bereits etabliert sind, nenne ich das Beispiel Michael Schade. Ein so großartiger Tenor, der längst einen Exklusivvertrag bei einem großen Tonträger-Konzern haben müsste. Hat er aber nicht.

Sie bilden auch aus. Wie sind Sie denn als Lehrer?
Thomas Quasthoff: Mittlerweile sehr fordernd und Disziplin liebend. Aber auch humorvoll und geduldig. Alles in allem glaube ich: Schlecht bin ich nicht as Lehrer. Einige meiner Schüler haben schöne Karrieren gemacht, viele sind in Rundfunkchören untergekommen. In diesem Sinne reicht es mir zunächst einmal, wenn die Leute ihr Brot mit dem Gesang verdienen können. Die große Karriere ist was ganz anderes. Dazu gehört mehr: Glück, Können, Ausstrahlung. Der Umgang mit Agenten ist auch nicht ganz einfach, der mit den Kritikern noch schwieriger.

Wie werden manche zu ganz Großen?
Thomas Quasthoff: Wir können ausbilden, so viel wir wollen. Doch wenn Ausstrahlung und Selbstbewusstsein fehlen, wird es problematisch. Ohne Ausstrahlung nützt die schönste Stimme nichts. Manche, etwa ein Placido Domingo – ich bin glücklich, dass ich ihn kennen lernen durfte – sind außerhalb jeder Diskussion. Er singt mit 77 immer noch, aber ich glaube, wenn er aufhören würde, würde er tot umfallen. Von mir hingegen glaube ich, dass ich den richtigen Moment erwischt habe. Um aber noch einmal auf das Wort „Ausstrahlung“ zurück zu kommen: Ganz ehrlich, wenn einer sehr hässlich ist, er aber die schönste Stimme der Welt besitzen würde – es würde ihm nichts nützen.

Mit Ihrem Schicksal als Behinderter kommen Sie dem Anschein nach gut zurecht?
Thomas Quasthoff: Ich habe gelernt, damit zu leben. Das war nicht immer so. Doch heute kann ich sagen: die Verzweiflung habe ich hinter mir.

Sie gelten als Fußball-Fan. Wer wird diesmal Weltmeister?
Thomas Quasthoff: Wenn die Brasilianer ihre Bestform abrufen können, führt an ihnen kein Weg zum Titel vorbei.

Und Deutschland?
Thomas Quasthoff: Glaube ich eher nicht. Aber wie heißt es so schön? Man hat schon Pferde kotzen gesehen. Direkt vor der Apotheke. Klar werde ich das 7:1 der Deutschen gegen Brasilien bei der WM 2014 nicht vergessen. Ich hab’ es bei meinem Nachbarn gesehen. Nach dem vierten deutschen Tor sagte ich zu ihm: „Zieh das Kabel raus, irgendwas stimmt hier nicht!“

Haben Sie eine Lebensdevise für die Zukunft?
Thomas Quasthoff: Jeden Tag genießen, denn es könnte morgen vorbei sein. Ich hab’s bei meinem Bruder gesehen. Er war erst 52, als er schwer krank wurde. Nach einem dreiviertel Jahr war sein Leben zu Ende. Ich lebe gern und genieße alles, was mir so passiert. Jetzt zum Beispiel die Freude, für Sony das Album „Nice’N’Easy“ machen zu dürfen, und ich wünsche mir – für alle Beteiligten – dass sie gut läuft. Ich bin zuversichtlich. Ein paar Quasthoff-Fans gibt es ja noch. . .