Die Literatur war Ausbruch. Denn: „Das war die einzige Kunstgattung, die meine Mutter nicht gefördert hat“, erzählt Elfriede Jelinek im Dokumentarfilm „Die Sprache von der Leine lassen“. Claudia Müllers Leinwandporträt ist ein Glücksfall.

Es nähert sich der 2004 mit dem Literaturnobelpreis geadelten Autorin, die sich seit damals aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, über ihre Sprache an. Einer musikalischen Sprache, die mit Radikalität und Dringlichkeit insistierend Antisemitismus, Verdrängung, Ausbeutung, Frauenhass oder Populismus beim Namen nennt. Obwohl die 76-Jährige vor der Kamera keine neuen Interviews gab, ist sie auf der Tonspur mit Aussagen von 2021 sehr präsent. In teils unbekanntem Videomaterial berichtet sie von ihrer dominanten Mutter und ihrem jüdischen Vater sowie von ihrem unermüdlichen Drang, zu schreiben, eben nicht Ruhe zu geben. Seit ihrem Stück „Burgtheater“, das Paula Wesselys Mitwirken im NS-Propagandafilm „Heimkehr“ anprangert, gelte sie „als Nestbeschmutzerin“, erinnert sie sich. „Da habe ich meinen guten Ruf verloren.“ Müller dokumentiert auch mit der Diffamierung einer Künstlerin ein Stück österreichische Nachkriegsgeschichte.

Theaterstars wie Sophie Rois, Sandra Hüller, Stefanie Reinsperger, Ilse Ritter, Maren Kroymann oder Martin Wuttke lesen aus ihrer Prosa und ihren Stücken vor. Mechthild Barths Montage von Footage-Material der 1950er/60er, neuen Super-8-Bildern und imposanten Kamerafahrten von Christine A. Maier ziehen einen in die Sprachlandschaften, wo auch Humor und (Selbst-)Ironie Platz haben.
Bei der Österreich-Premiere auf der Viennale wurde ein Text verlesen, in dem sich Jelinek bedankte, wie die „Filmemacherin und ihre kongeniale Kamerafrau“ sich „wie ein Schnitter mit seiner Sense durch mein Leben gemäht haben.“ Weiter hieß es: „Das, was war, ist jetzt. Es ist wieder da, nicht in einem vampirischen Sinn des Wiedergängers, sondern als etwas, in dem Vergangenheit und Gegenwart zusammenfallen, ohne mich dazwischen zu erdrücken.“ Höchste Zeit für eine Wiederentdeckung: ab 10. November im Kino.