Bestens besuchte bis ausverkaufte Vorstellungen von 6.30 Uhr bis 23 Uhr: Heute geht die 59. Viennale zu Ende und die zweite Pandemie-Ausgabe des größten internationalen Filmfestivals Österreichs feierte das Kino als Ereignis. Die Zahl der Besucherinnen und Besucher bei der vierten Ausgabe unter Direktorin Eva Sangiorgi kann sich im zweiten Pandemiejahr durchaus sehen lassen: 58.200 Menschen zählte man. Im Vorjahr waren es wegen reduzierter Sitzplatzauslastung 42.000 Personen. Auslastung: 74 Prozent. Über den mit 6000 Euro dotierten Wiener Filmpreis darf sich Sebastian Meise für "Große Freiheit" freuen, der schon u.a. in Cannes reüssierte.

Der Kampf um sowie die Sehnsucht nach Selbstbestimmtheit zogen sich mitunter wie ein roter Faden durchs Programm. Audrey Diwans intensiver Eröffnungsfilm, das Abtreibungsdrama „L’évènement“, thematisiert die fehlende Wahlfreiheit einer schwangeren Studentin in den 1960ern in visuell aufregendem, beklemmendem 4:3-Format.

Verdens verste menneske“ („The Worst Person in the World“) des Norwegers Joachim Trier beschließt die Viennale. Darin porträtiert er die Generation Z, der im Leben alle Optionen offenstehen, die sich aber nicht entscheiden kann oder will. Renate Reinsve, die in Cannes als beste Darstellerin geehrt wurde, verkörpert Julie. Sich mit der zweitbesten Wahl zufriedenzugeben, kommt für sie nicht in Frage. Damit eckt sie im klugen Liebesfilm zwölf Episoden lang an und wird am Ende dennoch mit ihrer Unabhängigkeit belohnt.

In diese Lesart passen ebenso Pablo Larraíns Drama "Spencer" über Prinzessin Lady Di am Rande des Nervenzusammenbruchs, als sie von der Affäre ihres Mannes mit Camilla erfährt. Kristen Stewart, an der die Kamera nah dran bleibt, wagt den Befreiungsschlag im famos ausgestatteten und arrangierten Historienfilm, der einen packt, obwohl man den Ausgang kennt.

Auch Joanna Hoggs Sequel "The Souvenir II" über die Filmstudentin Julie fügt sich in eine Reihe von selbstbestimmten Frauen. Sie will den Verlust ihres problematischen Junkie-Partners überwinden, in dem sie ihm ein filmisches Denkmal setzt. Hochspannend, wie Hogg auch dieses Mal Erzählräume und Einordnungsversuche ihrer Protagonistin aufwirft, um einen am Ende dennoch ahnungslos zurrückzulassen. Aber beglückt. Honor Swinton Byrne betört wieder als widerständige Studentin, die um Selbstermächtigung rauft, flankiert von ihrer Mutter Tilda Swinton.

Nach einer Erfolgsstory auf diversen internationalen Festivals war Sebastian Meises „Große Freiheit“ anlässlich der Viennale endlich hierzulande im Kino zu sehen. Das Drama (Co-Autor Thomas Reider) berichtet von einem wichtigen Kapitel queerer Nachkriegsgeschichte. Der Paragraph 175 im deutschen Strafgesetzbuch stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe und wird erst 1994 gänzlich abgeschafft. Hans (Franz Rogowski) wird verhaftet, weil er Männer liebt. Er wird direkt vom KZ ins Gefängnis überstellt. Dort trifft er auf Viktor (Georg Friedrich), der ihn zunächst fast verprügelt und dann zum wichtigsten Gefährten wird. Für Hans existiert die große Freiheit hinter Gittern nur in seinen Träumen. Dort aber ist sie nicht umzubringen. Friedrich und Rogowski spielen in diesem intimen Film als ginge es um ihr Leben. Ab 19. November im Kino.

Lilith Kraxner und Milena Czernovsky studieren in ihrem rätselhaft-anziehenden Langfilmdebüt „Beatrix“ das Prokrastinieren einer jungen Frau. In 16-mm-Bildern in 4:3-Format und eigenwilligen Ausschnitten zwischen Speckfalten und Hausstaub beobachtet die Kamera ihren Alltag. Die soghafte Charakterstudie lehnt sich originell gegen den allgegenwärtigen Optimierungswahn auf.

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