Seit Freitag ist Viggo Mortensens Debüt „Falling“ als Regisseur und Drehbuchautor im Kino zu sehen. Der dänisch-amerikanische Schauspieler skizziert darin zwischen Familiendrama und einfühlsamen Männer-Porträt eine Vater-Sohn-Geschichte, die auch deshalb komplex ist, weil Mortensen einen schwulen Mann spielt, der auf seinen homophoben Vater trifft. Den Film widmet der 62-Jährige, dessen schillernde Biografie ihn von Dänemark bis in die USA oder Südamerika führte, seinen beiden Brüdern.

Zu Beginn des Films entschuldigt sich der Vater bei seinem neugeborenen Sohn, dass er ihn in diese Welt gebracht hat. Was war für Sie der Ausgangspunkt dieser Szene?
VIGGO MORTENSEN: Ich wollte gleich zu Beginn klarmachen, dass das nicht die übliche Familiengeschichte wird. Der Vater ist ein Farmer und Jäger, sehr direkt und der Natur sowie dem Leben um ihn herum verbunden. Aus seinem existenzialistischen Blickwinkel heraus ist diese Aussage das Zärtlichste überhaupt. Aber für viele ist es ein schockierender Satz.

Der Film ist Charles und Walter Mortensen gewidmet. Wie viel persönliche Inspiration und Familiengeschichte haben Sie in ihr Regiedebüt eingewoben?
VIGGO MORTENSEN: Das sind meine Brüder und es stecken einige Details und Gespräche darin, auch wenn die Geschichte Fiktion ist. Die Rückblenden und die Dynamik zwischen den Eltern sind ihnen vertraut. Auch die Demenz meiner Mutter, bevor sie starb, und die meines Vaters, meines Stiefvaters oder meiner Großeltern – diese Krankheit war auf beiden Seiten meiner Familie stets sehr präsent.

Wie haben sie die Balance gehalten zwischen der Sympathie für den Sohn und dem Verständnis für den Vater?
VIGGO MORTENSEN: Ich wollte keinen Film machen, der ein Urteil über eine Person fällt. Es geht um Empathie und die Hoffnung auf irgendeine Art der Verbindung, die wieder entstehen kann. Um die Probleme der Kommunikation mit einer Person, die das nicht will und dich nicht akzeptiert. Das ist schwierig und leider sehen wir das heutzutage sehr oft.



Sie spielen selbst den Sohn in Ihrer Geschichte. Hat es das schwieriger gemacht, als Regisseur nicht Partei zu ergreifen?
VIGGO MORTENSEN: Ich habe eine gute Beziehung mit Lance Henriksen, der den Vater spielt und wir arbeiten schon lange an dieser Geschichte. Es war gut für ihn, dass ich in den Szenen dabei war: nicht nur als Regisseur außerhalb, sondern mittendrin im Kampf. In Augenhöhe und als Schauspieler. Für mich war es natürlich mehr Arbeit, weil ich meinen Text lernen musste und gleichzeitig mit der Crew alles vorbereiten musste. Aber ich war lockerer als gedacht, weil jeden Tag alles so gut geplant war.

Eine Schlüsselszene im Film ist der Streit, der nach langer Anspannung zwischen Vater und Sohn ausbricht.
VIGGO MORTENSEN: Ich wusste, dass diese Szene heikel und unangenehm anzuschauen wird. Also musste sie für uns auch schwierig zu spielen sein, um echt zu wirken. Der Sohn weiß, dass sein Vater Hilfe braucht, auch wenn er es nicht zugeben kann. Und er ist der einzige von dem er sie vielleicht akzeptiert. Also muss er einiges in Kauf nehmen. Diese Anspannung bricht irgendwann auf. Wir haben diese Szene in den ersten paar Drehtagen gemacht, das war ein sehr intensiver Tag. Aber von da an gab es eine emotionale Verbindung mit der Crew. Das war wundervoll.

Die Geschichte ihres Films hat einige sehr amerikanische Motive, auch wenn der Vater-Sohn-Konflikt universell ist. Was wäre anders, wenn sie nicht in Amerika spielen würde?
VIGGO MORTENSEN: Ein dänischer Produzent hat mir einmal vorgeschlagen, die Geschichte nach Dänemark zu verlegen und ich habe mir das auch überlegt. Es ist universell, aber es gibt etwas Spezielles am Selbstbild der Amerikaner: diese Mythologie der weiten, offenen Räume und die Unabhängigkeit. ‘Sag mir nicht, was ich tun soll und ich habe meine Waffen’ und dieser ganze Blödsinn! Aber es liegt auch etwas Befreiendes in dem Mantra ‘Ich kann mein eigenes Schicksal in die Hand nehmen und neu anfangen.’ Einige Politiker missbrauchen das, aber es hält sich. Es ist Teil der nationalen Mythologie.

Welche Rolle nehmen die Frauen in “Falling” ein?
VIGGO MORTENSEN: Gwen ist das moralische Zentrum der Geschichte. Sie ist der Grund für viele Meinungsverschiedenheiten zwischen ihrem Ehemann und dem Sohn und der Tochter. Was sie für jeden von ihnen bedeutet und die Erinnerungen ihnen über sie sagen, ist Teil der Konflikte. Sie ist durchweg präsent und fliegt gewissermaßen über der Geschichte. Ich war froh, dass Hannah Gross sie in den Rückblenden so großartig gespielt hat. Diese Figur ist im Geiste ziemlich stark an meine Mutter angelehnt. Während der Vater Willis nicht so sehr meinem eigenen Vater ähnelt, obwohl er eine sehr extreme Version von ihm ist, schlecht im Umgang mit Veränderung und Menschen, die sich ändern.



Spiegelt diese Familiengeschichte und die Figur des Vaters also auch die Gesellschaft wider?
VIGGO MORTENSEN: Ja, die Kommunikationsprobleme sind auch in unserer Gesellschaft sehr ernst geworden, auch in Europa. Es ist fast wie eine andere Pandemie in der westlichen Welt und ein echtes Problem. Dagegen gibt es keine einfache Impfung. Das einzige, was wir tun können, ist sich anzustrengen, den Leuten zuzuhören, die man nicht mag und Gemeinsamkeiten zu finden.

Haben sie im Lockdown ein Regie-Projekt vorbereitet?
VIGGO MORTENSEN: Ja, ich habe schon zwei neue Drehbücher geschrieben und es gibt noch ältere, weil ich schon seit 25 Jahren versucht habe, Filme zu drehen. Eines davon gehe ich hoffentlich nächstes Jahr als Regisseur an.