Im Jahr 1963 zeichnet der damals schon weltberühmte, mit Preisen überhäufte Federico Fellini ein düsteres Filmporträt seiner selbst. „8 ½“ heißt das Meisterwerk, in dem der Regisseur Guido Anselmi (gespielt von Marcello Mastroianni) mit einer Schaffenskrise ringt. Anselmi quälen die Geister der Vergangenheit und der Gegenwart: In Alptraumsequenzen ziehen Kindheitsszenen vorbei, mithilfe von Wunschfantasien von einer perfekten, mädchenhaften Frau flüchtet er vor der deprimierenden Realität. Den merkwürdigen Titel hat der Film, weil Fellini bis dahin neun Filme gedreht hatte, einen davon in Co-Regie. In „8 ½“ verschränkt er virtuos Illusion und Wirklichkeit und liefert ein schonungsloses Psychogramm. Der ausgelaugte Anselmi ist beruflich am Ende und zwischen unterschiedlichsten Frauen hin- und hergerissen: Die Beziehung zu seiner enttäuschten Frau (Anouk Aimée) ist abgekühlt, die Hauptdarstellerin seines geplanten Films (Claudia Cardinale) ist eine idealisierte Mädchen-Madonna, während er mit der Geliebten Carla (Sandra Milo) seinen Hang zur Vulgarität auslebt. Irgendwann träumt er davon, alle Frauen seines Lebens, seinen „Harem“, peitschenschwingend herumzuscheuchen.

Die Bitterkeit dieser Szene wird durch die komödiantische Darstellung kaum abgemildert. Es ist die Selbstanklage eines Mannes, der gewohnt ist, Frauen als dienstbare Geister und Körper zu benutzen.
Schon in seinem vorigen Film „Das süße Leben“ zeigte Fellini einen verlorenen Mann voller Selbstzweifel und von deprimierender Oberflächlichkeit. Der Reporter Marcello (wieder Marcello Mastroianni) ist beziehungsunfähig. Seine sich an ihn klammernde Freundin Emma (Yvonne Furneaux) widert ihn an, seine reiche Liebschaft Maddalena (Anouk Aimée) weist ihn zurück und Filmstar Sylvia (Anita Ekberg) ist bloß Projektionsfläche für seine erotischen Wünsche. Ungeachtet seines Titels ist der Film jener aus Fellinis Œuvre, der am verzweifeltsten wirkt.

Die Frauen waren ein Leitthema in Fellinis Schaffen. Vor allem wegen der autobiografischen Episoden des Films „Amarcord“ (1973) sind die üppigen, bisweilen derben Frauen in knappen Kleidern geradezu ikonisch geworden. Man kann sie auch als „fellinesk“ bezeichnen kann. „Fellinesk“ beschreibt das Opulente, das Grelle, das Überschminkte, Groteske, das Zirkushafte, das Bizarre. „Fellinesk“ wird Fellini in der zweiten Phase seines Schaffens, etwa ab 1960. Davor ist der 1920 in Rimini geborene Künstler noch dem Neorealismus verhaftet. Der Neorealismus mit seinen harten, unbehauenen Geschichten von einfachen Leuten dominierte den italienischen Film der Nachkriegszeit. Fellini wird zu einem grandiosen Vertreter dieser Schule, aber schon in den frühen Werken lässt sich sein persönlicher Stil erkennen. „La Strada“ etwa (1954) ist ein Filmgedicht in neorealistischer Verkleidung, ein Liebespoem, in dem sich Fellinis visuelle Eigenheiten abzeichnen.

Ein Lüstling auf der Suche nach Hintern und Busen

Um 1960, also in der Zeit von „Das süße Leben“, bricht er mit dem überlebten Neorealismus und seine Filme werden allmählich opulenter, verlassen die Bahnen des traditionellen Erzählkinos. „Satyricon“ (1970), „Roma“ (1972) und „Casanova“ (1976) sind wahre Phantasmagorien. 1980 kehrt Fellini zu einem Leibthema zurück. In „Die Stadt der Frauen“ schickt er einen Lüstling namens Snàporaz (gespielt von Marcello Mastroianni, wem sonst?) auf einen Trip einer von Frauen regierten Welt. Eine Zufallsbekanntschaft (Bernice Stegers) lockt Snàporaz in einen surrealistischen Bildersturm, ein feministisches Happening, wo Fellini das männliche Begehren der Lächerlichkeit preisgibt. Dennoch bekommt der Regisseur nach „Stadt der Frauen“ von Feministinnen selbst einiges zu hören: Nichts habe sich an seiner Macho-Perspektive geändert, noch immer seien die Frauen vor allem Hintern und Busen und Projektionsfläche, Männerträume und Männeralpträume, aber keine Menschen.

Analyse des Geschlechterverhältnisses

Auch wenn Fellinis Frauenbild 27 Jahre nach seinem Tod in Rom antiquiert anmutet, verrät sein Kino viel über das Geschlechterverhältnis. Er thematisiert den männlichen Blick, analysiert das Begehren, entlarvt mit brennender Schärfe die Uralt-Klischees von der Frau als „Heiliger“ und „Hure“. Es sind nie Filme über Frauen, immer Filme über Frauenbilder.

Im vielleicht größten seiner Filme, in „La Strada“, übernahm Fellinis Frau Giulietta Masina die Hauptrolle. 50 Jahre waren sie verheiratet, in einem halben Dutzend seiner 24 Filme wirkt Masina, die gar nicht dem Fellini-Typ zu entsprechen scheint, mit. In „La Strada“ spielt sie Gelsomina, ein naives, etwas seltsames Mädchen, das vom Grobian Zampanò (Anthony Quinn) gekauft wird (ja, das gab es damals) und mit ihm als Clown übers Land zieht. Als Gelsomina eigenen Willen zeigt, wird sie von ihrem Gefährten zugrunde gerichtet. Es ist die tragischste Liebesgeschichte, die sich denken lässt und sie endet in Einsamkeit. Der verlassene Mann erkennt am Ende, dass er das Einzige, was er geliebt hat, zerstört hat. Zampanò wankt an einen Strand, wo ihn die Trauer übermannt. In der Regieanweisung im Drehbuch heißt es: „Zampanò schaut lange in den Sternenhimmel, mit der Bestürzung des primitiven Menschen, der zum ersten Mal das Firmament wahrnimmt.“ Quinn spielt das mit unheimlicher Intensität. Das stärkste aller Fellini-Bilder. Im Mittelpunkt steht – ein Mann.