Herr Moretti, nach vielen historischen Filmen – wie beispielsweise „Deutschstunde“ oder „Mackie Messer“ – wirken Sie nun in „Gipsy Queen“, einem kleinen Film im Boxermilieu, mit. Wie ist es Ihnen auf dem Set ergangen?

TOBIAS MORETTI: Ein kleiner, aber besonderer Film, den Hüseyin Tabak da gemacht hat. Ich mag Hamburg sehr, auch den Kiez, und es war herrlich, sich für ein paar Wochen als Besitzer der „Ritze“ zu fühlen.

Hatten Sie davor irgendwelche Boxerfahrungen?

Nein, keine praktischen Erfahrungen, aber ich habe natürlich die großen Boxkämpfe der 70er und 80er verfolgt, das hat ja jeder in meiner Generation.

Sie sind optisch erblondet und kaum wiederzuerkennen: Wie sehr hilft Ihnen das Kostüm, die Maske, sich eine Rolle auch körperlich einzuverleiben?

Natürlich ist es ein innerer Vorgang, wenn man sich mit einer Figur beschäftigt und sich einen Charakter anverwandelt. Die äußere Veränderung spiegelt dann den inneren Vorgang wider, im besten Fall. Kostüm und Maske definieren ein Milieu, deuten eine Biografie an. Für uns Schauspieler ist das wie die Abschussrampe für eine Figur. Deswegen ist die Arbeit dieser Abteilungen im Film auch so wichtig.

Was hat Sie denn an dieser Rolle des Ex-Boxers Tanne gereizt?

Er ist eine Kämpfernatur und gleichzeitig einer, der einmal einen nicht wiedergutzumachenden Fehler gemacht und sich so seine Karriere kaputtgemacht hat. Einer, der Charakter und Charakterlosigkeit vereint. Man weiß nicht ganz, ob er das, was er für die Boxschülerin Ali tut, auch aus Kalkül tut, oder weil er eben doch ein guter Kerl ist.

Haben Sie den norddeutschen Akzent „im Programm“ oder mussten Sie viel dafür proben?

Nein, das Norddeutsche liegt mir total, obwohl es so weit weg ist von meinem eigenen Dialekt, vielleicht auch gerade deshalb. Ich mag diesen nordischen Zungenschlag sehr.

Es wartet schon die nächste historische Rolle auf Sie: die Titelrolle in „Louis van Beethoven“. Welches ist Ihr Lieblingswerk von ihm?

Ein Lieblingswerk von ihm habe ich nicht. Ich quäle mich auch immer wieder mit seinen Klavierwerken, einfach deshalb, weil ich sie nicht gescheit spielen kann. Ich habe mich jetzt wieder mit seinen späten Streichquartetten beschäftigt, das ist ganz unglaubliche, hochabstrakte Musik. Wenn man nicht wüsste, wann sie entstanden ist, könnte man sie zeitlich kaum einordnen. Kaum zu glauben, dass das 90 Jahre vor der Zweiten Wiener Schule, vor Schönberg et cetera komponiert worden ist.

Wo sehen Sie Ihren Auftrag in der Verkörperung von historischen Rollen?

Das kann man nicht allgemein sagen. Konkret bei Beethoven geht es natürlich darum, diesen unglaublichen Kulturschatz auch denen nahezubringen, für die Beethoven kaum mehr als ein Name ist und die sich nicht so leicht in einen Konzertsaal verirren. Beethoven ist außerdem auch deshalb so faszinierend, weil er Zeitgenosse eines unglaublichen gesellschaftlichen Umbruchs war, der industriellen Revolution, und auch der Etablierung eines Musiklebens, das nicht mehr vom Adel bestimmt – und finanziert – wurde, sondern von der bürgerlichen Klasse getragen wurde.

Im Sommer stehen Sie erneut mit einer neuen Buhlschaft am Domplatz: Es ist Ihre erste gemeinsame Arbeit mit Caroline Peters. Freuen Sie sich darauf?

Ja, sehr. Ich habe auch mit Stefanie Reinsperger und Valery Tscheplanowa sehr gern gespielt, beide hatten sehr unterschiedliche Ansätze für die Figur. Die Figuren im „Jedermann“ sind eher allegorisch und nicht psychologisch definiert, dadurch bieten sie viel Spielraum. Ich bin schon gespannt, was für eine Buhle Caroline Peters wird.

Hat der 60er irgendetwas in Ihrem Leben verändert?

Mir ist nix aufgefallen – oder krieg ich’s vielleicht nimmer mit? Die Gesundheit ist das wichtigste, so lange man die haben darf, fühle ich mich, was Intention, Kraft und Neugier betrifft, noch lange nicht am Zenit.