Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner wirft einen Blick in eine nahe, aber nicht näher bestimmte Zukunft. Mit „Little Joe“ hat sie es nach drei Einladungen in die Nebenreihe „Un certain regard“ in diesem Jahr endlich als eine von vier Frauen in die Cannes-Königsklasse geschafft. Emily Beechum, Ben Wishaw und Kerry Fox gehören in Hausners ersten englischsprachigen Arbeit zu einem Team von Wissenschaftlern und Pflanzenzüchtern, die eine besondere Blume erschaffen haben: Wer an ihr riecht, wird glücklich. Der Haken: Das genmanipulierte Gewächs verändert das Wesen derjenigen, die sie hegen, pflegen, mit ihr reden – und macht sie abhängig.

Szene aus dem Film "Little Joe"
Szene aus dem Film "Little Joe" © COOP99/THE BUREAU/ESSENTIAL FILM

Inhaltlich trägt das „Little Joe“ allerdings nicht ganz über die gesamte Laufzeit und die (An-)Spannung lässt in der zweiten Hälfte etwas nach. Doch Hausner stellt hier nicht nur durchaus reizvolle Fragen über die Folgen von Genveränderung, Verselbständigung der Manipulationund den Preis fürs Glücklichsein. Sie inszeniert ihre ungewöhnliche Geschichte als stilisierte und zurückhaltend futuristische Science-Fiction, die trotz ein, zwei eruptiver Schreckmomente die Unheimlichkeit und das Unbehagen vor allem auf leise schwelende Weise erzeugt. Dafür kreiert sie eine eigenwillig entrückte Atmosphäre: Mit ihren präzisen Kompositionen, Bildern, in denen Grün- und Rottöne dominant herausglimmen, und einer Tonspur, bei der hohe, grelle Töne, Trommeln, Hundegebell und asiatisch angehauchte Filmmusik effektiv eingesetzt werden. Damit könnte sie durchaus Kandidatin für einen Regiepreis sein – auch wenn es mit „Little Joe“ nicht für die Palme reichen sollte.

"Rocketman" Elton John

Elton John und Taron Egerton, der ihn im Film darstellt
Elton John und Taron Egerton, der ihn im Film darstellt © APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

Als Elton John im Film „Rocketman“ die Tür mit einem Schwung aufschlägt, steht er dahinter plötzlich in Cannes – und im Musikvideo von „I’m Still Standing“. 1983 wurde es gedreht und der damals 36-Jährige sang darin am Strand, am Prachtboulevard Croisette, vor dem berühmten Carlton Hotel seinen Klassiker umtanzt von vielen hübschen Menschen. Als Szenen daraus nun bei der Weltpremiere des Films auf dem Festival in Cannes zu sehen waren, brandete Applaus auf. Für die Gala kam Sir Elton, mittlerweile doppelt so alt, zurück nach Südfrankreich. Dort spielte er bei der Premierenparty ein paar Songs am Piano, darunter auch „Rocket Man“ im Duett mit Taron Egerton, der im Film sein jüngeres Film-Ich hingebungsvoll verkörpert und ganz eindrucksvoll selber singt. Wenige Stunden vorher hatte sich John noch an der Seite von Ehemann David Furnish auf dem roten Teppich bejubeln lassen.

Mit rosafarbener Herzchenbrille und kleiner Glitzerrakete auf dem Anzug verschwand er im Premierensaal, um die ersten Jahrzehnte seines Lebens als Bio-Pic-Musical auf der Leinwand anzuschauen – inszeniert von Dexter Fletcher, der zuletzt schon bei der Freddie-Mercury-Biografie „Bohemian Rhapsody“ als Regisseur einsprang. „Rocketman“ zeichnet nach, wie John als Reggie Dwight in einfachen Verhältnissen in England aufwächst. Wie sein Talent entdeckt wird, sich mit seinem kongenialen Texter Bernie Taupin (Jamie Bell) anfreundet und er in den 70ern zum Popstar aufsteigt, der zwar Millionen Platten verkauft, aber ein unglückliches Leben im dauerhaften Alkohol- und Drogenrausch führt.

Szene aus "Rocketman"
Szene aus "Rocketman" © AP

Dabei geht es im Kern um Johns lange Zeit versteckte Homosexualität und die Sehnsucht nach Liebe, die er lange Zeit nicht bekommt: Weder von seinen Eltern, zu denen er ein gebrochenes Verhältnis hatte. Noch von seinem Manager, der nach heißer Leidenschaft seine rücksichtslos gierige Seite herauskehrt. Um all das zu erzählen, schlägt „Rocketman“ zwar einen reichlich konventionellen Bio-Pic-Bogen, bekommt aber durch die zahlreichen Musicalnummern mit den großen Hits immer wieder Energie- und Emotionsschübe: Wenn Egerton rührig „Your Song“ anstimmt oder es zwischendurch ganz kitschig, schillernd, glitzy wird.

„Es gab keine dunkle Ecke, in die wir nicht schauen durften“, sagte Regisseur Fletcher in Cannes. „Elton hielt sich zurück, ließ uns spielen und die Geschichte erzählen.“ Tatsächlich ist durchaus überraschend, wie viel Lebensdrama in dieser Geschichte steckt. Doch in Johns filmischer Therapiestunde, um die Geister der Vergangenheit abzuschütteln, verflacht die Dramatik mitunter auf Musical-Unterhaltungsniveau und manövriert mit den destruktiven Räuschen zu nah an der bekannten Pop-Star-Narrationen. In Elton John löste dieser Rückblick aber offenbar stärkere Emotionen aus. Während der minutenlangen Standing Ovations standen ihm genauso wie Egerton die Tränen in den Augen.