Das renommierte Branchenblatt „Variety“ reihte die österreichisch-deutsche Koproduktion „Styx“ unter die zehn besten Streifen der Berlinale 2018. Es folgten diverse Auszeichnungen, und eben erst kassierte der Film, der am 23. November in unseren Kinos anläuft, in München (für Regie und Hauptrolle) den Metropolis-Preis. Ein Interview mit dem Macher Wolfgang Fischer und seiner herausragenden Hauptdarstellerin Susanne Wolff.

Warum kam der Film nicht in den Hauptbewerb der Berlinale? Dort hätte er wohl hingehört.
WOLFGANG FISCHER: Er wurde auch dafür gehandelt. Wie ich hörte, klappte es aus „politischen Gründen“ nicht.

Wie kam es zum Titel „Styx“?
FISCHER: Das ist bekanntlich der Fluss, der in der griechischen Mythologie die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich Hades darstellt, und der Titel passt exakt zur Situation meiner Hauptfigur Rike. Sie wird unfreiwillig zu Charon, dem Fährmann. Nur, wer ihn bezahlen konnte, kam der Sage nach ins Reich der Toten. Wer die Münze nicht parat hatte, kreiste ewig auf dem Fluss.



Was passiert mit dieser Rike?
FISCHER: Sie ist Notärztin in Köln und tritt auf Gibraltar einen Segelurlaub an, der sie auf die Atlantikinsel Ascension Island führen soll. Das ist eine kleine tropische Trauminsel im Südatlantik.

Dorthin kommt sie aber nicht.
FISCHER: Ihr geplanter Urlaub endet abrupt, denn nach einem gewaltigen Sturm findet sie sich auf hoher See wieder – in unmittelbarer Nachbarschaft eines überladenen, havarierten Fischerbootes. Mehrere Dutzend Menschen, Flüchtlinge, drohen zu ertrinken. Rike folgt zunächst der gängigen Rettungskette und fordert per Funk Unterstützung an. Doch alle Hilfsgesuche bleiben unbeantwortet. Rike ist gezwungen zu handeln. Aber was kann sie als Einzelperson wirklich tun?

Sie haben sich entschlossen, fast den ganzen Film auf einem elf Meter langen Segelboot zu drehen. Warum?
FISCHER: Weil das ein physisch-archaischer Stoff ist, ein Stoff mit unglaublicher Kraft. Ich wusste, das konnte man nur auf offenem Meer drehen. Nur den Sturm filmten wir drei Tage lang im berühmten Bassin von Malta, wo auch Hollywood oft zu Gast ist. Mein Kameramann Benedict Neuenfels und ich mussten uns natürlich „seetüchtig“ machen. Zwecks Vorbereitung sind wir mit kleinen Jollen auf dem Wannsee herumgesegelt.

Filmszene aus "Styx"
Filmszene aus "Styx" © Filmladen



Und Sie, Frau Wolff, mussten das Segelhandwerk ja effektiv beherrschen. Da gab es kein Schummeln?
SUSANNE WOLFF: Gott sei Dank habe ich im Alter von 16 Jahren angefangen zu segeln und war mit meinem Vater oft auf Segeltour. Natürlich habe ich auch den Schein gemacht. Für „Styx“ habe ich in Travemünde mit Profis geübt. Denn nie zuvor bin ich mit einem so großen, elf Meter langen Boot gesegelt. Bevor es mit dem Film losging, habe ich auch noch an einer Regatta teilgenommen.

Im Film gibt es kaum Dialoge. Über weite Strecken spricht Rike kein einziges Wort, ihr einziges Ausdrucksmittel ist der Körper.
FISCHER: Das macht die ganze Kraft der Geschichte aus. Normalerweise bedeutet eine Drehbuchseite eine Minute Film. Hier bestehen die ersten 40 Minuten aus lediglich zehn Seiten.

Was, Frau Wolff, hat das für Sie bedeutet?
WOLFF: Vor allem bei den Sturm-Aufnahmen im Bassin von Malta wurde mir bewusst, welch unfassbares Vorhaben dieser Film ist, und ich dachte: Für all diesen Stress und die Anforderungen, die das Projekt stellt, hätte ich nie die Kraft und die Kapazität. Wolfgang Fischer und Benedict Neuenfels hatten sie. Und sie gingen mit ungeheurer Konsequenz an die Aufgabe heran. Allein all der technische Wahnsinn auf kleinstem Raum. Auf dem Boot waren wir immer acht bis zehn Leute, Schulter an Schulter. Und viele mussten sich immer wieder verstecken, um nicht im Bild zu sein.

Notärztin Rike trifft auf ein Flüchtlingsschiff
Notärztin Rike trifft auf ein Flüchtlingsschiff © Filmladen

FISCHER: Nebst allen Problemen war dieser Herbst einer der schlimmsten, den Malta je erlebte. Immer wieder hat die Natur diktiert, was wir drehen konnten. Unwetter, heftige Stürme. Manchmal konnten wir gar nicht rausfahren. Und wenn, wurde das Team zum Teil seekrank. Daneben hatten wir für den Notfall ein Boot mit Rettungstauchern. Die wurden auch seekrank.

Wie entstehen solche Sturmszenen im Riesen-Bassin?
FISCHER: Mit horrorlauten Wellenmaschinen und Wasserkanonen, die 600 Liter Wasser aufs Boot „geworfen“ haben.

Wie ist es, wenn man eine Hauptrolle verkörpert und fast nichts zu sprechen hat?
WOLFF: Möglichst wenig zu reden, alles mit Blicken und dem Körper zu sagen, ist natürlich eine große und lustvolle Herausforderung. Bei den Vorbereitungen sprach ich auf Malta auch mit Helfern der Küstenwache, die ja oft mit Flüchtlingsbooten konfrontiert waren und sind. Dabei erfuhr ich von ihren alltäglichen und oft unvorhersehbaren dramatischen Erlebnissen. Erlebnissen von einer solchen Wucht, dass unsereiner am besten den Mund hält.

Regisseur Wolfgang Fischer
Regisseur Wolfgang Fischer © Filmladen



Die ersten Schritte zu diesem Projekt erfolgten bereits vor mehr als sieben Jahren. Was hat sich seither an der Flüchtlingsproblematik auf hoher See geändert?
FISCHER: Nichts. Es gibt bis heute keine wirklichen Lösungsvorschläge. Denn die Politiker fürchten, dann nicht mehr gewählt zu werden. Und in Europa werden die Flüchtlinge mittlerweile nur noch als Bedrohung wahrgenommen. Die Länder Afrikas können sich keine Küstenwache leisten. Also sind auf den Meeren Boote von Frontex im Einsatz. Deren Besatzungen dürfen nicht eingreifen, obwohl dieser Befehl gegen Seerecht verstößt. Sie müssen immer auf ihr Mandat, also grünes Licht warten.

Ist es heute nicht so, dass Hilfsstrukturen sogar wieder abgebaut und die Grenzen dicht gemacht werden?
FISCHER: Ja, so ist es. Es gibt nach wie vor keinen politischen Lösungsansatz. Und wenn von „Schließung der Mittelmeerroute“ die Rede ist, dann bedeutet das in der Tat keine Lösung. Ganz im Gegenteil. Es führt nur dazu, dass die Menschen dann dort sterben, wo es keine Kameras gibt.