Ihr Film ist angelehnt an die Geschichte von Angelo Soliman, der im 18. Jahrhundert als Bub von Sklavenhändlern eingefangen und nach Wien gebracht wurde, wo er als „Hofmohr“ lebte. Wie sind Sie auf ihn gekommen?
MARKUS SCHLEINZER: „Angelo“ ist mein zweiter Film als Regisseur. Der erste, „Michael“, war trocken und trist, weil wir uns aufgrund des Themas Pädophilie jede Form von Sinnlichkeit verboten hatten. Danach habe ich unglaubliche Lust verspürt, etwas Sinnliches, Schönes zu machen. Ein Film lebt letztendlich von der Schönheit seiner Bilder, auch von seinen Farben, Kostümen und seiner Ausstattung. Beim Kostümfilm kannst du ins Volle greifen.

Was auch getan wurde.
Ja. Mit den wenigen Mitteln, die wir hatten, ist uns viel gelungen. Mein Kameramann Gerald Kerkletz und ich haben im Vorfeld festgesteckt, wie der Bildausschnitt sein wird. Teilweise enden die Sets dort, wo das Bild endet. Sonst hätten wir diesen Ausstattungswahnsinn nicht betreiben können. Österreich hat enorme Tradition im historischen Film. Wenn man sich großartige Willi-Forst-Filme wie „Maskerade“ ansieht, schwelgt man in Bildern und Kostümen.

Sind Sie mit diesen Filmen sozialisiert worden?
Ja, statt in die Schule bin ich oft zu meiner Großmutter in den 4. Bezirk gegangen. Wir hatten eine Übereinkunft, von der meine Mutter nichts wusste. Wir sahen uns gemeinsam die Vormittagsfilme an. Herrlichste Schwarz-Weiß-Filme mit Hans Moser, Paul Hörbiger und Konsorten, die Monarchie verklärende Filme, was der damaligen Zeit geschuldet war. Man hat das so dringend gebraucht in der Nachkriegszeit, dass man sich ein bisschen die Augen auswaschen konnte vom eigenen Elend. Ich bin mit Angelo Soliman aufgewachsen, kein großes Ding, aber er war präsent.

Wie denn?
Ich habe ein paar Anekdoten gekannt: dass er hier gelebt hat, dass man ihn nach seinem Tod ausgestopft hat, dass man ihm eine Frau aus Afrika gesucht hat, die er heiraten musste. Dass er der beste Freund des Kaisers war und stets mit ihm spazieren gegangen ist. Im Zuge meiner Recherche bin ich draufgekommen, dass nur weniges davon, was wir vor uns hertragen und weitergeben, wahr ist.

Was davon ist denn wahr? Wie viel weiß man über Soliman?
Das würde dieses Interview sprengen. Es fängt schon damit an: Ab wann gilt etwas als wahr? Es gibt ganz wenig Material über ihn. Man weiß nicht, wo er in Europa angekommen ist. Das erste Mal taucht er in den Abrechnungsbüchern des Hauses Liechtenstein auf. Dort ist minutiös verzeichnet, was man ihm jedes Jahr zum Anziehen gekauft hat. Darin haben alle Mitarbeiter ihre klare Position, er nicht. Einmal wird er als Unterhalter, einmal als Berater, meist jedoch als „Hofmohr“ geführt. Was er mit Sicherheit war – ein Schicksal, das er mit vielen Menschen geteilt hat: Er war ein Ornament. In einer Zeit, in der Herrschaften mit Geld Schiffe in ferne Länder schicken konnten, ist so eine große Sucht nach dem Exotischen ausgebrochen. Jeder, der etwas auf sich gehalten hat, begann zu sammeln. Zu Beginn waren das Steine oder Fossilien, später fremdartige Tiere und Menschen.

Was erzählt der Film über Österreichs und Europas Geschichte?
Die Figur des Angelo birgt so vieles in sich: eine Form von Internationalität, weil dieser Mensch von woanders kam und schon woanders in Europa sozialisiert und getauft wurde. Man darf nicht vergessen: Fast jede europäische Nation hatte in irgendeiner Form ihren Angelo. Für Frankreich ganz berühmt war die Afrikanerin Sarah Baartman, die man in Frankreich zur Prostitution und orientalischen Tänzen gezwungen hatte. Es geht stark um den Umgang mit dem Gegenüber, dem Anderen. Man hat diesen Menschen zu uns verschleppt, wo er anderen dienen und deren Herrlichkeit repräsentieren musste. Man hat Angelo eine andere Identität übergestülpt. Eine, in der wir ihn gerne gesehen haben.

Und was erzählt der Film über die Gegenwart?
Ich habe das Drehbuch vor fünf Jahren geschrieben und nicht damit gerechnet, dass es von der Realität eingeholt wird. Der Film beginnt damit, dass man die Boote sieht, wo Menschen ausgeladen werden. Vor 300 Jahren haben wir Leute hierherverschleppt, heute kommen sie von selber.

In einer Szene stapfen einige durch den Wald. „Was für ein Gift kann doch die Heimat sein!“, sagt einer. Und Angelo fragt: „Heimat, wie heißt die Hauptstadt?“
Ich mag die Simplizität und den Nettoeffekt der Aussage. Heimat ist nichts Reales. Der Begriff dient der Identifikationssuche. Natürlich brauchen wir etwas, wo wir uns zugehörig fühlen. Heimat ist für jeden etwas anderes. Wir haben keine Not, uns darüber Gedanken zu machen, weil uns diese niemand unter den Füßen wegzieht.

Sie gelten als Casting-Instanz. Wie schwierig war es, schwarze Schauspieler zu finden?
Es gibt nach wie vor eine gewisse Sicht auf diese Menschen und was sie zu spielen haben: Gangster, Rapper Dealer. Es war berührend, wie diese die Sicht auf die Stereotypen noch befeuern, indem sie sich ihnen annähern, also sich im Fitnesscenter den harten Kerl antrainieren.