Er startete zwar nicht im Hauptbewerb, sondern in der Sektion Generation 14plus, doch nach der Weltpremiere bei der Berlinale gab es helle Begeisterung für Hans Weingartners Roadmovie „303“. Der Jubel geht weiter. Jetzt, beim offiziellen Kinostart, bezeichnete zum Beispiel die „Berliner Morgenpost“ den Streifen als „schönsten Liebesfilm des Jahres“, und am 7. September erhält der Vorarlberger als erster den neu geschaffenen Regiepreis Ludwigshafen.

Ein „Minimum an Handlung mit einem Maximum an Dialogen“ erobert die Kinos. Eine kleine Entschädigung für die ungemein mühevolle Arbeit?
HANS WEINGARTNER: Schon, wo ich doch bereits 2013 mit der Arbeit begonnen habe. Mein Vorbild war von Anfang an Richard Linklaters in Wien entstandener Film „Before Sunrise“. Auch ich wollte zwei junge Menschen über Gott und die Welt diskutieren lassen.

Aber es war ungeheuer schwierig, die Finanzierung zu finden?
WEINGARTNER: Obwohl „Beforde Sunrise“ Linklaters bisher erfolgreichster Film war, glaubte in unseren Breiten niemand daran, dass auch ich so erfolgreich sein könnte. Die Menschen in den Fördergremien meinten: „Da wird ja nur geredet, wer soll sich das anschauen?“ Diese Leute sind völlig fantasielos, 90 Prozent von ihnen halte ich für strohdumme Vollpfosten, die im Schnitt auch zu alt sind und von den Problemen der 20jährigen nichts verstehen. So wird auch das Arthouse-Kino kaputt gemacht. Dort fehlt zusehends das junge Publikum.

Wie konnten Sie „303“ dann doch auf die Beine stellen?
WEINGARTNER: Indem ich alles zusammenkratzte, was ich noch an Restgeldern hatte. Das waren rund 100.000 Euro. Genau so viel konnte ich mir von Freunden und Verwandten ausborgen, unter anderem von meiner Schwester. Und ich habe meine Berliner Eigentumswohnung verpfändet. Ein TV-Sender, der ursprünglich mitmachen wollte, sagte wieder ab. Da beschloss ich, auf Fernsehhilfe zu pfeifen und habe die Weltrechte an einen Rchtehändler verkauft. Zu einem Spottpreis.

 Zwischen den beiden jungen Leuten, die einander zu Beginn begegnen, sich trennen, aber letztendlich wieder zusammenkommen und in einem alten Wohnmobil auf Reisen gehen, wobei geredet, geredet und geredet wird. 145 Minuten lang, trotzdem wird es nie fad ...
WEINGARTNER: Ja, statt drei Sekunden Wischi-Waschi-Gerede zeige ich die langsame Annäherung zweier Seelen.

In Mala Emde und Anton Spieker haben Sie die schlechthin idealen Hauptdarsteller gefunden. Eine lange Suche?
WEINGARTNER: Das Casting hat zwei Jahre gedauert. Denn wo junge Schauspieler finden, die die Dialoge so gut hinbekamen, dass sie nicht wie Theaterspieler aus dem vorletzten Jahrhundert wirkten? Anton habe ich in einem Kaffeehaus in Neukölln getroffen, wir haben sofort zu diskutieren begonnen, ein, zwei Stunden lang. Über alles Mögliche. Es war ein sehr gutes Gespräch. Danach holte ich Mala Emde vom Airport ab, brachte sie zu Anton, holte die Handykamera heraus und sagte: „So, jetzt redet über Monogamie!“ Prompt sind die Fetzen geflogen. Da wusste ich: Ich habe die Richtigen. Es folgte wochenlange harte Arbeit, ich habe weiterhin an jedem Wort gefeilt.

Das ganze Team (!) war mit Ihrem alten Mercedes 303 Transporter, der schon unzählige Kilometer absolviert hat, unterwegs. Der Autotyp hat dem Film auch den Titel gegeben. Wo und wie haben Sie dann gedreht?
WEINGARTNER: Einfach auf Wiesen und Bergen.

Dreherlaubnis?
WEINGARTNER: Wo denken Sie hin. Deshalb kam es natürlich laufend zu Problemen. Einmal, als wir stoppten, um zu filmen, kam der Förster. Nach einigem Hin und Her gab er uns zwei Stunden. Just da hatten wir die dramatischste und schwierigste Szene des Films zu drehen. Oder, in den Dünen, nahte auf einmal einer auf einem Pferd und hat uns verjagt. Es war der Chef der Naturschutzbehörde. Letztendlich flüchteten wir mit dem Bus nach Polen. Wir waren acht Leute, das Fahrzeug war nur für vier zugelassen. . .

Was haben Sie nach all diesen Strapazen als erstes gemacht?
WEINGARTNER: Eine Woche lang durchgeschlafen.

 Sind Sie mittlerweile schon zu neuen Taten bereit?
WEINGARTNER: Ja. Vielleicht in meiner Zweitheimat Sao Paulo – auch in Brasilien ist meine Produktion „Die fetten Jahre sind vorbei“ ein Kultfilm geworden -, da habe ich eine Doku über Fischer angedacht, ich habe aber auch ein Drehbuch über einen Mann mit telepathischen Fähigkeiten.

Haben Sie noch Zeit für Ihre Vorarlberger Heimat?
WEINGARTNER: Momentan nicht, aber im Alter möchte ich mich im Montafon zur Ruhe setzen. Lassen Sie mich dazu meinen Lieblingsautor Thomas Bernhard zitieren: „In die Berge muss mein Kummer ziehn und die Amsel mich am frischen Grab bewachen.“ Das klingt schön und poetisch, vielleicht aber auch ein bissl morbid. Thomas Bernhard eben.

Nach all den überstandenen Schwierigkeiten beim Zustandekommen von „303“ und nun nach den hymnischen Kritiken, worauf sind Sie besonders stolz?
WEINGARTNER: Dass ich mich nie verbiegen habe lassen.