Am 13. März eröffnen Sie die Diagonale in Graz mit Christian Froschs Film „Murer - Anatomie eines Prozesses“ über den in Österreich vor Gericht gestellten und freigesprochenen NS-Kriegsverbrecher Franz Murer. Der verbrachte seinen Lebensabend unbehelligt im obersteirischen Gaishorn. Sie haben nie Zweifel daran gelassen, dass Sie Film zutiefst politisch denken. Rechnen Sie mit heftigen Diskussionen?
PETER SCHERNHUBER: Film funktioniert als politisches Medium in jegliche Richtung, als Propaganda und Aufklärung, manchmal sogar gleichzeitig. Das zu reflektieren ist für uns bei der Diagonale wesentlich. „Murer“ ist eine enorm interessante künstlerische Arbeit, wir wollen den Film aber nicht in eine rein tagespolitische Analogie setzen. Das wäre schwammig und ungenau. Gerade angesichts der aktuellen Regierungskonstellation, die viele kritisch sehen, ist es wichtig, präzise zu sein und keine grobschlächtigen Parallelen zu ziehen. Aber es geht uns mit der Diagonale schon um eine Befragung der österreichischen Kultur im Umgang mit der Vergangenheit, im Umgang mit den nationalen Narrativen. Gerade im heurigen Gedenkjahr.
SEBASTIAN HÖGLINGER: Wäre der Film schon vor einem Jahr fertig gewesen, hätte man ihn im Festivalkontext anders gelesen als jetzt. Wir hätten ihn aber aus denselben Beweggründen gebracht: weil uns der Regisseur Christian Frosch interessiert und die formale Machart spannend ist. Die Thematik ist für uns nicht notgedrungen an die aktuelle Situation in Österreich angedockt.

Wie waren denn die ersten Reaktionen auf diese Filmwahl?
SCHERNHUBER: Inhaltlich gab es viel positives Feedback und Interesse. Spannend werden die Reaktionen auf die künstlerische Umsetzung sein. Und spannend wird, welche Konsequenzen aus dem Film gezogen werden. Es ist mit dem aufklärerischen Anspruch in so einem Fall ja nicht getan - was danach passiert, wird also interessant. Was nicht heißt, dass der Film als Handlungsanweisung zu verstehen ist.

Das Detailprogramm der Diagonale stellen Sie erst vor. Man hört aber vorab, dass es mehr Dokumentarfilme geben wird als zuletzt. Liegt's an Ihrer Auswahl oder am filmischen Angebot?
HÖGLINGER: Das ergibt sich aus den Produktionszyklen. 2017 war die Diagonale ungewöhnlich spielfilmstark, das macht sich im Folgejahr bemerkbar. Aber wir haben nicht nur Dokumentarfilme im Programm, sondern auch irrsinnig tolle Spielfilme, mit Debüts, die überraschen werden. Wir versuchen an sich, den Umfang von Genre zu Genre stabil zu halten. Und die Diagonale ist in Wirklichkeit ja sehr, sehr kurz. Man muss irrsinnig viel Programm in diese wenigen Tage packen. Da sind wir am Limit - sowohl im Hinblick auf die sehr erfreulichen Besucherzahlen der letzten zwei Jahre als auch auf den Umfang der Produktionen, die wir zeigen können.

Sie könnten ja verlängern?
HÖGLINGER: Das wird seit Langem diskutiert. Auf der einen Seite sind wir finanziell an unseren Grenzen. Unser Budget liegt bei 1,3 Millionen Euro, es sieht nicht so aus, als würde es wachsen. Andererseits tut die Kürze dem Festivalspirit gut.

Was sagen Sie zu den filmpolitischen Plänen des neuen Kulturministers Gernot Blümel?
SCHERNHUBER: Im Regierungsprogramm werden wichtige Themen angesprochen, wie ein Preservation Center für das filmische Erbe oder die Neuausrichtung der Filmförderung.

Das hatte die letzte Regierung auch schon vor.
SCHERNHUBER: Man wird sehen, wie das umgesetzt wird. Nachdenklich macht die Diskussion um die öffentlich-rechtlichen Medien. Da sind die Signale besorgniserregend.

Weil der FPÖ-Ruf nach Abschaffung der „Zwangsgebühren“ auch die 100 Millionen ORF-Filmförderung betreffen könnte?
SCHERNHUBER: Wer so ein Bild vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat, wird auch ein entsprechendes Bild von der heimischen Filmkultur haben. Begriffe wie „Zwangsgebühren“ sind Kampfansagen, die ein Desinteresse am Diskurs anzeigen. Ich hoffe trotzdem, dass diese Diskussion nicht als Kulturkampf geführt wird, sondern als interessierte und fundierte Auseinandersetzung.

Die geplante Zentralisierung der Filmförderung ist für Sie nachvollziehbar?
HÖGLINGER: Wichtig ist, sich nicht dem Optimierungspostulat hinzugeben, dass unterschiedliche Interessen gehört und berücksichtigt werden.
SCHERNHUBER: Wenn man sich die österreichische Filmgeschichte anschaut, war der österreichische Film immer dann erfolgreich, wenn er Risikobereitschaft, Wagemut, Experimentierfreudigkeit zeigen durfte. Wenn diese drei in der Förderpolitik Entsprechung finden, ist man, glaube ich, für die nächste Zeit gut gerüstet. Noch pointierter wäre als Richtmaß die Frage: Wären Michael Hanekes frühe Filme im derzeitigen System ermöglicht worden?

Wären sie's?
SCHERNHUBER: Es gibt Leute, die sagen: Nein.
HÖGLINGER: Für viele Filmemacher ist der erste Langfilm eine enorme Hürde. Aber noch schwieriger ist es unter Umständen, den zweiten, dritten Film durch die Förderinstanzen zu bringen. Da müsste im System nachgeschärft werden.

Demnächst wird die Generalversammlung des Vereins „Forum österreichischer Film“ die nächste Diagonale-Intendanz ab 2020 bestimmen. Haben Sie beide Lust, noch weiterzumachen?
HÖGLINGER: Wir werden uns nach dem Festival mit der Generalversammlung zusammensetzen, und von uns aus sind das Interesse und die Faszination an diesem Format und seinen Entwicklungsmöglichkeiten da.
SCHERNHUBER: Es ist aber noch nicht geklärt, ob die Generalversammlung uns weiter will. So eitel darf man nicht sein, davon überhaupt auszugehen.