Was, eigentlich, hat den im Mölltal aufgewachsenen Hubert Sauper bewogen, den Zustand der Menschheit – die oft beschworene conditio humana – im fernen Afrika oder in der Karibik filmisch zu erforschen?
Eines ist gewiss: Es geht dem international vielfach ausgezeichneten Filmemacher nicht lediglich um die Eingeborenen, um die Dörfler, würden wir Kärntner sagen. Es geht Sauper auch nicht um Geografie und bloße Örtlichkeit oder Politik.
In all seinen filmischen Kunstwerken – stets weit weg vom Alten Kontinent gedreht –spielen Europäer, Amerikaner und seit kurzem Chinesen dubiose Hauptrollen: als Eroberer, Zivilisatoren, Kolonialisten oder Pauschaltouristen.
Womöglich war es der in den 1960er-Jahren anschwellende Fremden-Verkehr in die entlegensten Alpentäler seiner Heimat, die Saupers Neugierde für die Kollision der Welten überhaupt erst geweckt hat. Es waren Touristen aus Deutschland, Italien oder Frankreich, aber auch Piloten der US-Airforce, die von der Bombardierung und Entwaldung Nordvietnams psyhisch angeschlagen, nun ausgerechnet im entlegenen Mölltal ihr Kriegstrauma überwinden sollten. Eine Art imperialistischer Landschulwoche.

Landeshauptmann Peter Kaiser und Kulturpreisträger Hubert Sauper
Landeshauptmann Peter Kaiser und Kulturpreisträger Hubert Sauper © ©helgebauer/LPD


Was immer seine frühkindlichen Erinnerungen ausgelöst haben mögen: Hubert ist jedenfalls rasch aus der Oberkärntner Idylle über das Lienzer Gymnasium und das Studium in Wien in die USA und nach Frankreich gelangt, um sich dort nach filmischen Zwischenstationen (vorläufig?) niederzulassen. Man könnte sagen, er ist ein Bürger dieser prekären Welt.
Vielleicht ist Hubert Saupers Welt auch so was wie seine intellektuelle, künstlerische Heimat im Irgendwo, die ihm zu seiner emotionalen Kärntner Heimat (und die kann und soll man ja nicht loswerden) erst die nötige Inspiration für seine cineastische Arbeit gibt.
Wenn ihm der oscarnominierte Film „Darwin’s Nightmare“ (2005) zu Weltruhm verholfen hat, so war es sein erster Afrika-Film „Kisangani Diary“ (1998), der mir nicht aus dem Sinn gehen will. Er handelt von den ursprünglich 80.000 Hutus, die sich über viele tausend Kilometer von ihrer Heimat Ruanda in den Regenwald Zaires geflüchtet hatten und dort brutal verfolgt dem Hungertod ausgesetzt waren. Saupers Kamerablick, unerträglich lang auf ein sterbendes Flüchtlingskind gerichtet, zeigt schlichtweg die menschliche Hölle auf dieser Welt.
Dabei ist nicht Sensation oder Agitation – die Begleiter unserer digitalisierten Gegenwart – Saupers Ziel; im Gegenteil: In seiner schnörkellos-insistierenden Art verweist er ohne intellektuelle Überheblichkeit auf die Ungeheuerlichkeiten unseres Zeitalters. „Homo homini lupus“ erfährt in Saupers Filmen eine verblüffend aktuelle Wirklichkeit.

Waffenschiebereu und artfremde Raubfische

Er hält dieser angeblich zivilisierten Welt den Spiegel vor; und das Bild ist nicht schön. Ob es sich um massive Waffenschieberei oder um artfremde Raubfische handelt, die das Ökosystem des tansanischen Victoriasees zerstören und als Metapher für industriell-sozialen Darwinismus stehen oder um die gewalttätige Zerschlagung des Sudan zum Zweck der Aufteilung des reichlich fließenden Erdöls zwischen amerikanischen und chinesische Industriegiganten – Sauper legt seinen cineastischen Finger in die schwärenden Wunden des neoliberalen Kolonialismus.
Sein jüngster Film „Epicentro“, von der New York Times gleichermaßen enthusiastisch besprochen wie die beiden vorangegangenen – „Darwin’s Nightmare“ (2005) und „We Come as Friends“ (2014) – zeichnet ein nahezu intimes Bild vom Leben junger Menschen in Havanna. Indem er die Geschichte des amerikanischen Imperialismus mit dem Schicksal dieser jungen Generation verknüpft, stellt er die Frage, wie denn ein selbstbestimmtes Leben nur wenige Meilen entfernt von der Hypermacht USA überhaupt möglich sei? Wie, fragt sich Sauper, können Jugendliche dem Glitzer des gar nicht so fernen Konsumkapitalismus widerstehen? Der Film illustriert für mich die Unmöglichkeit der Utopie schlechthin; eine Utopie der Gleichheit, die auf Kuba womöglich nie eine Chance gehabt hat.
Es sind dies case studies der sehr persönlichen Art, die uns Sauper in seinen Filmen präsentiert. Vor ziemlich genau hundert Jahren hat ein anderer Abenteurer den afrikanischen Kontinent künstlerisch vermessen. Der aus seiner polnischen Heimat geflüchtete Jozef Teodor Konrad Korzeniowski hat als Joseph Conrad die wohl bekannteste Erzählung über die brutalen Folgen des europäischen Eroberergeistes in Afrika geschrieben.
Als Sauper 1998 „Kisangani“ drehte, war ihm nicht bewusst, dass Conrad – ehe dieser 1899 sein „Heart of Darkness“ niederschrieb – jene Bahnlinie gebaut hatte, entlang derer Ende des zwanzigsten Jahrhunderts der Todesmarsch der vertriebenen Hutus stattgefunden hatte. Vergleiche tragen das Scheitern gleichsam in sich, dennoch drängt sich mir diese bemerkenswerte Parallele auf.
Während Conrad jedoch die afrikanische Welt des 19. Jahrhunderts mit dem Dampfboot erkundet und darüber den Roman mit dem auch in der deutschen Übersetzung sprichwörtlichen Titel „Herz der Finsternis“ geschrieben hat, überquert heute der Weltbürger Sauper in seinem selbst gebauten Flugzeug den Schwarzen Kontinent, um die Zerstörungen des neuen Kolonialismus und dessen menschenverachtenden Narrativ, filmisch festzuhalten.
Darin, meine ich, zeigt sich das zeitlos Gültige in der engagierten Arbeit Hubert Saupers: Dass er nämlich die Pathologien der Ausbeutung in all seinen widerwärtigen Ausprägungen gleichermaßen mit Nähe und Distanz dokumentiert.
Denn letztlich müssen wir uns alle die Frage stellen, ob denn Kultur und kritische Reflexion dazu beitragen können, die Zerstörung des Planeten abzuwenden.
Hubert Sauper, davon bin ich überzeugt, leistet dazu seinen unverwechselbaren Beitrag.


*Dr. Wolfgang Petritsch (74) ist ehemaliger SPÖ-Politiker und Spitzendiplomat. Von 1999 bis 2002 war der gebürtige Klagenfurter Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina.