„Geliebte, wo bist du?“: Unendlich traurig erklingt dieser finale Klagegesang von Schubert mit späterer Chorbegleitung. Stolpernd reißt er sich dabei seine schlechtsitzende Perücke und seine Kleider vom Leib, bis er fast nackt und verzweifelt mit seinem pockennarbigen Gesicht im strömenden Regen allein auf der Bühne steht, während seine Freunde mit der Kutsche zurück nach Wien fahren. So melancholisch und mit herabregnenden Notenblättern endet am Gärtnerplatztheater in München die Uraufführung der Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“.

Eigentlich hätte es eine fröhliche Landpartie von Wien aus in dieses Dorf werden sollen, so wie sie der mit Schubert befreundete Maler Leopold Kupelwieser in Bildern und Skizzen festgehalten hat. Und vielleicht hätte sich dabei auch die Gelegenheit gegeben, seiner angebeteten Josepha seine Liebe zu offenbaren. Allein es kommt anders: Denn er wird einerseits von Damenwelt quasi wie ein göttlicher Künstler und nicht als Mann wahrgenommen: „Schubert ist ja nicht irdisch, er ist ein Gott!“ Und er kann andererseits zwar alle seine sehnsuchtsvollen Gefühle bis in die feinsten Nuancen mit Musik ausdrücken, aber diese durch seine in Selbstzweifeln begründete sprachliche Gehemmtheit nicht aussprechen, was in die Isolation führt. Und so verlobt sie sich mit einem anderen, was Schubert in diese finale Verzweiflung stürzt.

Die Idee dazu stammt von Josef E. Köpplinger selbst. Dem Intendanten des Theaters am Gärtnerplatz gelang es, keine Geringeren als Peter Turrini und Johanna Doderer zusammen zu spannen und zur Schaffung einer Oper über Franz Schubert zu animieren. Nach mehrmaligen Pandemie-bedingten Verschiebungen kam nun die Oper in einer musikalisch abgespeckten kammermusikalischen Version im Stream in der Dauer von gut 100 Minuten heraus.

© gärntnerplatztheater/zach

Es ist vielschichtiger, poetischer Text, worin auch die Einsamkeit des Jahrhundertgenies deutlich gemacht wird, über diese tatsächlich stattgefundene Reise, jedoch ohne die gleichen Personen, den der gebürtige Kärntner Peter Turrini hier schuf. Und Johanna Doderer, die schon 2016 erfolgreich hier am Haus Molnárs „Liliom“ vertonte, komponierte eine mehrschichtige, überwiegend tonale und gut anhörbare Musik dazu. Da durften viele Schubert Zitate, wie etwas aus der „Winterreise“, der „Wanderphantasie“ und natürlich aus den hier entstandenen „Atzenbrugger Tänzen“ nicht fehlen. Diese verwebt sie und verfremdet sie kunstvoll mit ihrer eigenen Klangsprache. Sie schafft aber noch dazu viel Eigenständiges in ihrer persönlichen Tonsprache. Starke rhythmusorientierte Passagen fehlen ebenso wenig wie lustige Polkas, Ländler und Kantilenen, die aber immer wieder von dissonanten Bläsereinwürfen irritiert werden.

Die großteils hohen virtuosen Ansprüche, etwa für das Klavier, für die Solovioline mit einem mörderisch schweren Solo aber auch die wunderbaren Cellokantilenen werden vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Stabführung von Michael Brandstätter, der ja auch schon in Klagenfurt dirigierte, hochkonzentriert und mit vielen Nuancen und Farben wiedergegeben.

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Große Wortdeutlichkeit zeichnet alle Protagonisten aus: In der Hauptrolle erlebt man Daniel Prohaska als wandelfähigen, extrem ausdruckstarken Schubert. Mária Celeng ist seine angebetete aber unerreichbare Josepha von Weissborn, die flexibel und mühelos bis in höchste Höhen vordringen kann. Mathias Hausmann singt sehr klangvoll den Maler Leopold Kupelwieser, der immer wieder vergeblich seinen Freund zu einer Liebeserklärung aufstachelt. Von den kleineren Rollen gefallen noch Alexandros Tsilogiannis als Librettist „schöner Franz“, der bei Josepha zum Zug kommt, Timos Sirlantzis als Sänger Johann Michael Vogl sowie Andreja Zidaric als Louise Lautner, die wunderbar wie ein Vöglein zu zwitschern vermag. Chor und Kinderchor des Hauses singen tadellos.

Und der Hausherr, der ja bekanntlich vor München mehrere Jahre Intendant am Klagenfurter Stadttheater war, legt auch gleich als Regisseur selbst Hand an. Dabei gelingt ihm, eine ungemein vitale und ideenreiche Inszenierung mit starken Bildern: Wenn etwa zu Beginn Schubert am Boden knieend aus einer Flasche trinkend um eine neue Komposition ringt und sich aus dem Nebel heraus plötzlich die große Kutsche herausschält (Ausstattung: Rainer Sinell). Die Bewegung für die Reise suggeriert die Drehbühne sowie im Hintergrund ziehende Kulissen des Stephansdom bis zum Wald.  Manchmal verschwindet die Kutsche mit Passagieren sogar in der Unterbühne. Auch die Tagträume, in die sich Schubert immer wieder flüchtet, sind stark inszeniert. Und immer wieder tauchen die zur damaligen Zeit des Biedermeiers zahlreichen Kriegskrüppel und Bettler auf. Gespielt wird in historischen Kostümen. Diese Produktion wird im Stream immer am Brennpunkt des Geschehens, mit vielen Überblendungen und Nahaufnahmen wirkungsvoll gezeigt.

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Vor Beginn kann auch noch ein Interview von Köpplinger mit der Komponistin und dem Librettisten nachgehört werden, wonach beide etliche Fassungen dafür geschaffen haben. Nicht auch ganz ohne Stolz erzählt Köpplinger, dass diese Oper die 26. Uraufführung in nur neun Jahren seiner Intendanz hier am Theater ist.

"Schuberts Reise nach Atzenbrugg". Nachzusehen kostenlos im Stream bis 7. Mai 2021 unter www.gaertnerplatztheater.de und auf youtube.