Bauer unser“, Ihr letzter Film, war mit 92.000 Besuchern der zweiterfolgreichste österreichische Kinofilm des Jahres 2016. Kann man sagen, dass Sie damit Ihren Durchbruch als Dokumentarfilmer geschafft haben?
ROBERT SCHABUS: Es war ja mein erster Kinofilm und für mich völliges Neuland. Als der Film im Herbst 2016 in die Kinos kam, gab es gerade heiße Diskussionen über das Ceta-Handelsabkommen. Der Film befasst sich ja auch mit dieser Thematik und ist dann super gelaufen, besonders auf dem Land. Im Waldviertel hat ein s Kino eigens wieder aufgesperrt und viele Leute sind mit „Bauer Unser“ überhaupt zum ersten Mal im Kino gewesen. Der Film ist eine Auseinandersetzung mit dem System Landwirtschaft und hat versucht, den Bäuerinnen und Bauern auf Augenhöhe zu begegnen. Das ist, glaube ich, auch gelungen.

Robert Schabus (48): „Ich finde es wichtig, den eigenen Blick zu erweitern und sich selber und seine lieb gewordenen Meinungen infrage zu stellen“
Robert Schabus (48): „Ich finde es wichtig, den eigenen Blick zu erweitern und sich selber und seine lieb gewordenen Meinungen infrage zu stellen“ © Weichselbraun


Auch Ihr neuer Film „Mind the Gap“ begegnet den Menschen auf Augenhöhe. Diesmal sind es unzufriedene Bürgerinnen und Bürger quer durch Europa. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Es ist mir schon bei den Recherchen zu „Bauer Unser“ aufgefallen, dass es Bereiche in unserer Gesellschaft gibt, wo es eine große Kluft gibt zwischen der politischen Repräsentation und den Menschen. Ich wollte mir einfach anschauen, warum es da so viel Misstrauen gibt. Ich selber komme ja vom Land und habe in den letzten Jahren miterlebt, wie sehr hier die Infrastruktur ausgedünnt wurde: Schulen wurden geschlossen, die Gailtalbahn haben sie zugedreht. Der Raum auf dem Land wird enger und das Wahlverhalten ist hier Blau geworden. Für mein Gefühl wird mit diesen Menschen zu wenig gesprochen. Die sind unzufrieden, weil sie nicht gehört werden. Und daraus resultiert, dass sie zum Teil extreme Politiker wählen, die sie aber als einzige noch offensiv ansprechen.


Sie haben in Griechenland, in Frankreich oder auch im Karl- Marx-Hof in Wien gefilmt. Gibt es eine gemeinsame Wurzel für die allgemeine Unzufriedenheit?
Ja, das neoliberale System der letzten 30, 40 Jahre. Die Auswirkungen sind natürlich da und dort unterschiedlich. In Deutschland gibt es zum Beispiel eine Niedriglohnpolitik. Hier hat eine sozialdemokratische Partei Hartz IV eingeführt, für mich ein soziales Verbrechen, das zu Lohndumping führte. In Frankreich gibt es Macron, der da gleichziehen möchte. In England gibt‘s den Brexit. Die Griechen wiederum wurden in den Untergang gejagt, um westliche Banken zu retten. Das Gemeinsame ist, dass es große Teile der Gesellschaft gibt, die verlieren, die von dieser europäischen Integration nicht profitieren.


Im Film ist etwa davon die Rede, dass die Säuglingssterblichkeit in Griechenland seit dem so genannten Rettungspaket wieder angestiegen ist.
Ja, aber auch die Selbstmordraten sind unglaublich gestiegen. Die Hälfte der griechischen Krankenhäuser wurde geschlossen. Die Pensionen wurden 14, 15 Mal gekürzt. Die Menschen sind mit ihrem politischen System aber auch mit der EU fertig. Die gehen auch nicht mehr wählen. Nicht viel anders ist es mit den Gelbwesten in Frankreich, die bei uns als Krawallmacher verschrien sind. Wir sind mit denen mitmarschiert. Das sind zu 90 Prozent Hackler, die sagen: Wir sind einfach unzufrieden. Die Gewerkschafter, die wir in Amiens begleitet haben bei einem Protest, weil dort eine Fabrik geschlossen wurde, die haben bei der Präsidentschaftsstichwahl alle Le Pen gewählt.


Viele der heutigen Probleme sind auf die Globalisierung zurückzuführen. Ist es da nicht verständlich, dass sich große Teile der Bevölkerung wieder auf das Nationale und Regionale besinnen?
Man muss sagen, dass alles, was auf sozial-emanzipatorischer Ebene erreicht worden ist – beispielsweise unser Sozialsystem – auf der Ebene der Nationalstaaten errungen wurde. Momentan schaut es nicht danach aus, dass Europa Vergleichbares schaffen würde. Da gibt es auch zu viele Eigeninteressen, um einen gemeinsamen sozialen und wirtschaftlichen Weg zu finden. Wenn es so weitergeht, dann wird der Zug Richtung Nationalstaaten noch stärker werden. Die ersten Zerfallsprozesse – siehe England – sieht man schon. Für Leute wie mich ist dieses Europa ja sehr praktisch. Ich reise viel, auch meine Kinder. Es gibt aber Leute, die nicht viel reisen. Die sind regional verhaftet, arbeiten irgendwo, verlieren ihren Job weil Billiglohnkräfte von woanders kommen oder ihre Arbeitsplätze in den Osten verschoben werden. Die fühlen sich unter Druck. Für mich, für die Städter und die Mittelschicht ist dieses System gut. Für viele andere ist es schwierig und denen muss Europa etwas anbieten.


Was wäre der Weg?
Es braucht jedenfalls mehr Beteiligung – dass man die Menschen ins politische System wieder reinholt. Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, fühlen sich politisch nicht mehr vertreten. In Irland haben sie nach der Finanzkrise eine Citizens’ Assembly gegründet, eine Bürgerversammlung mit 100 gelosten Bürgerinnen und Bürgern aus allen Gesellschaftsschichten. Die haben es geschafft, legale Abtreibungen zu ermöglichen oder die gleichgeschlechtliche Ehe, was im katholischen Irland zuvor nicht denkbar gewesen wäre. Die Sozialdemokratie müsste sich auch wieder mehr auf ihre Wurzeln besinnen und tatsächlich die Schwachen unserer Gesellschaft verteidigen.


Ihr Film kommt ohne Kommentierung aus und lässt nur die Betroffenen und einzelne Experten, wie etwa den ehemaligen EU-Kommissar Gunter Verheugen, zu Wort kommen. Verzichten Sie damit nicht auf ein dramaturgisches Element?
Diese sogenannte „Off voice“ mag ich nicht. Ich möchte wenig vorgeben und dem Zuseher mehr Raum lassen. Ich glaube sowieso, dass das Publikum heute sehr unterschätzt wird.


Was soll Ihr Film im Idealfall bewirken?
Meine Intention ist es, dass man zu all dem, was man sonst so hört in den Blasen, in denen wir uns bewegen, eine zusätzliche Tür aufmacht. Ich finde es wichtig, dass man dort hinschaut, wo man selber nicht mehr steht oder vielleicht nie gestanden ist, den eigenen Blick zu erweitern und sich selber und seine lieb gewordenen Meinungen infrage zu stellen. Und es geht darum, wieder mehr gesamtgesellschaftlich ins Gespräch zu kommen.