Mit einer neuen Bühnenfassung von Nicolaus Hagg nach der Novelle "Eine blassblaue Frauenschrift" von Franz Werfel haben die am Montagabend die Saison 2019 eröffnet. Überschattet ist der Spielstart in Reichenau durch das Ableben von Peter Matic, der in dieser Produktion für die Rolle des Ministers vorgesehen war. Nun ist Thomas Kamper relativ kurzfristig eingesprungen.

In Reichenau steht das Werk zum zweiten Mal auf dem Spielplan: 2002 ist es in der Dramatisierung von Hermann Beil und Vera Sturm zu sehen gewesen, besetzt mit Miguel Herz-Kestranek, Petra Morzé und Birgit Doll. Nicht zuletzt die Verfilmung durch Axel Corti 1984 hat zur Bekanntheit der Geschichte wesentlich beigetragen. Als Regieassistent wirkte damals Julian Pölsler mit, der nun seinen Inszenierungseinstand in Reichenau lieferte. 

Grindige Schleimspur

Wer sich allerdings großes Kino erwartete, kam nur teilweise auf seine Rechnung. Natürlich ist Joseph Lorenz ein ansehnlicher Sektionschef Leonidas, der sein mimisches und gestisches Repertoire souverän zur Anwendung bringt. Fanny Stavjanik als seine Frau Amelie bleibt rollengemäß zurückhaltend, Stefanie Dvorak als einstige Geliebte agiert in dezenter Verbitterung, Peter Moucka gibt den national gesinnten Hofrat Skutecky hervorragend in aller zeitlos üblen Bürokraten-Armseligkeit, Kamper verleiht dem Minister die erforderliche grindige Schleimspur.

"Ja, kurz!"

So weit, so gut. Hagg hat allerdings auch eine neue Figur eingebracht: Alexander Rossi verkörpert Amelies smarten Bruder Paul, dessen Funktion offenbar darin besteht, dem tumben Publikum die Zeitlage um 1936 nachdrücklich zu erklären und auch dem historisch unbelecktesten Zuseher einzubläuen, dass Österreich damals unmittelbar vor der Auslöschung stand. Ein Dialog wie "Du hast ja mit dem Bundeskanzler gesprochen?" - "Ja, kurz!" erscheint in diesem Kontext denn doch als etwas billiger Gag, der einem uninspirierten Kabarettprogramm angemessen wäre, aber nicht unbedingt Franz Werfel. 

Fotogene Standbilder

Ansonsten ist eine Abfolge vieler fotogener Standbilder in diversen Beleuchtungsvarianten zu vermerken und eine musikalische Untermalung der Umbaupausen mit alten Schlagern wie "Kann denn Liebe Sünde sein", sogar die Mondscheinsonate flackert auf. Das macht zwar ein wenig Stimmung, aber noch keine durchgehende Atmosphäre. Nur selten werden in diesen kammerspielartigen Sequenzen emotionale Vorgänge in und zwischen den Personen unmittelbar spürbar. Zudem waren - zumindest in der Hauptprobe am Montagvormittag - noch einige Leerläufe vorhanden.

Luftschnappende Schwimmer

Die schönsten Momente erlebt diese Produktion denn doch im O-Ton Werfels, als wäre es erst soeben geschrieben worden: "Die Minister wurden von den Parteien empor- und wieder davongespült, luftschnappende Schwimmer zumeist, die sich verzweifelt an die Planken der Macht klammerten... Sie waren nur allzuhäufig wohlfeile Simplisten, die nichts andres gelernt hatten, als in Massenversammlungen ihre ordinären Stimmen anzustrengen und durch die Hintertüren der Ämter lästige Interventionen für ihre Parteigenossen und deren Familienanhang auszuüben." Dieser Befund gilt offenbar seit Jahrzehnten, dem Lauf der Geschichte zum Trotz. Die vorliegende Kritik bezieht sich auf die Hauptprobe von Montagvormittag.