Sie werden heute 80 Jahre alt und wirken noch sehr fit. Wie machen Sie das?
No sports, außer ein bisschen spazieren gehen (lacht). Und das Schreiben hält mich fit.

Gerade ist ein neues Buch von Ihnen erschienen ...
... Ja. Eigentlich wollte Hans-Jürgen Schrader, der schon einmal ein Reclam-Bändchen in den 1980er-Jahren mit meinen Texten organisiert hat, zu meinem 80er eine Sammlung machen mit Artikeln und Texten, die in Zeitungen über mich erschienen sind. Ich habe mir aber gedacht, das ist eher was für posthum und habe mich aufgerafft und neue Essays geschrieben. Die sind jetzt unter dem Titel „Lebenszeichen“ erschienen.

Für den Titel „Lebenszeichen“ gibt’s ja einen guten Grund.
Ja, ich bekomme eine kleine Pension aus Deutschland, weil ich in den 1960er-Jahren an der Universität des Saarlandes gelehrt habe. Jetzt muss ich jedes Jahr ein Lebenszeichen nach Deutschland schicken – ein Beamter bestätigt mir mit Stempel, dass ich noch lebe und die Pension weiter beziehen kann.

In „Lebenszeichen“ geht es unter anderem um Wutbürger. Was macht Sie heute noch wütend?
Doch einiges. Aber es herrscht wohl doch schon eine gewisse Altersmilde.

In Ihrem Buch erzählen Sie auch von vielen Begegnungen, darunter einer vorweihnachtlichen mit Karl Heinrich Waggerl. Ein wichtiger Autor für Sie?
Er war schon ein Autor meiner Kindheit und Jugend. Einmal habe ich in der Wiener Stadthalle erlebt, wie er vor Tausenden Menschen seine Weihnachtsgeschichten gelesen hat. Als ich Anfang der 1970er in Salzburg einen Lehrstuhl vertreten habe, hat Waggerl mir eine Karte für eine Adventveranstaltung geschenkt. Die Weihnachtsgeschichten dort haben mir nicht besonders gefallen. Dann hat er zu mir gesagt: Brandstetter, nächstes Jahr lesen Sie. Aber da ist dann nichts daraus geworden, er ist auch bald darauf gestorben.

Dem Thomas Bernhard, haben Sie einmal geschrieben, sind Sie lieber ausgewichen als begegnet.
Ja, das stimmt, aber ein paar Begegnungen hat es gegeben. Einmal hat er in Salzburg eine Lesung aus „Gehen“ gehalten, bei der ich dabei war. Diese Lesung ist gestört worden, ein paar Leute, darunter der Autor Ingram Hartinger, sind um Bernhard herumgekreist, bis er gelacht und aufgehört hat.

Ist Ihnen das auch passiert?
Ich hatte zwar am nächsten Tag selber eine Lesung, aber der Ingram Hartinger ist zu mir gekommen und hat gesagt: Lois, morgen kann ich leider nicht stören kommen, denn wir haben zu Hause die Maurer. Das waren halt die 1968er und da hat man gerne sogenannte Autoritäten infrage gestellt oder den Literaturbetrieb „gestört“.

Waren Sie selbst auch irgendwann ein Revoluzzer?
Eigentlich nicht, ich war immer bürgerlich, ich habe aber doch am Rand einiges miterlebt.

Aber in „Lebenszeichen“ erzählen Sie, dass Sie wegen pubertärer Aufsässigkeit vom Kollegium Petrinum geflogen sind.
Ja, in der dritten Klasse. Es gab ein paar Verstöße gegen die Hausordnung. Das war damals sehr schlimm, vor allem für meine Mutter. Ich wollte ja eigentlich Priester werden, daraus ist dann nichts geworden (lacht).

Aber der Glaube ist für Sie noch wichtig?
Schon. Ich gehe regelmäßig in die Kirche. Und dass der große Theologe Jan-Heiner Tück mich vor zwei Jahren an der Universität Wien zu einem Vortrag eingeladen hat, hat mich sehr gefreut. Da ist übrigens etwas Lustiges passiert: Er hat mich vorgestellt als Lieblingsautor von Papst Johannes Paul II., der ja auch gut Deutsch gesprochen hat. Ich habe mir dann gedacht: Das kann nicht stimmen und habe nachgeforscht. Ich glaube heute eher, dass er den polnisch-jüdischen Schriftsteller Roman Brandstaetter gemeint hat.

Haben Sie das Jan-Heiner Tück auch mitgeteilt?
Ja, aber er glaubt noch immer, dass ich gemeint bin. Er denkt, dass es dabei um „Zu Lasten der Briefträger“ geht.

Das Buch war Ihr größter Erfolg. Was ist Ihr Lieblingsbuch unter Ihren vielen Romanen?
An „Aluigis Abbild“ habe ich noch immer eine Freude, obwohl es leider wenig Resonanz gefunden hat. Ich sage gern mit Wilhelm Raabe: Für meine ersten Bücher habe ich Leser gefunden, für die späteren Liebhaber. Jedenfalls hat mir der Gedanke, dass der weltzugewandte Peter Paul Rubens als Hofmaler in Mantua den keuschen heiligen Aloisius gekannt haben könnte, gefallen. Ich mag Romane mit Bildungshintergrund.

Lesen Sie selber noch viel?
Ja, jetzt lese ich schon zum zweiten Mal Erika von Borries Biografie über Wilhelm Müller, den Dichter der von Schubert vertonten „Winterreise“.

Wie werden Sie Ihren Geburtstag heute feiern?
In Oberösterreich. Ich bin Ehrenbürger von Pichl, wo ich aufgewachsen bin, und da gibt es einen Festakt. Ich habe aber gebeten, dass es nicht mehr so viele Reden gibt wie beim 70. Geburtstag, das war langweilig.

Solche Ehrungen – freut Sie das noch?
Leser bedeuten mir mehr als Preise. Aber wenn das eine zum anderen hinführt und jemand dann neugierig wird, was der Geehrte geschrieben hat, ist das doch schön.