Wir vereinnahmen Sie gerne als Kärntner, weil Sie in Klagenfurt geboren sind. Aber wie viel Kärnten steckt denn wirklich in Ihnen?
DANIEL WISSER: Genetisch bin ich gar kein Kärntner. Ich bin in Klagenfurt geboren und im Burgenland aufgewachsen. Meine Mutter ist aus Niederösterreich, mein Vater war Wiener. Teile der Familie leben in Tirol und Salzburg. Ich bin also Österreicher. Aber die Literatur führt mich immer öfter nach Kärnten und ich habe das Land in den letzten Jahren für mich entdeckt und lieb gewonnen.

Gerade haben Sie mit der „Königin der Berge“ den Österreichischen Buchpreis gewonnen. Haben Sie innerlich ein bisschen damit gerechnet? Als Favorit wurde eher Josef Winkler gehandelt.
Am Abend der Preisverleihung war ich sicher, dass Josef das Rennen machen würde. Wir sind gute Freunde und haben jeder dem anderen den Preis vergönnt. Ich dachte aber schon immer, dass die „Königin der Berge“ eine Chance hat. Die Reaktionen darauf waren schon davor sehr gut, auch von Menschen, die sonst andere Lesevorlieben haben.

In Roman geht es um selbstbestimmtes Sterben. Warum war Ihnen dieses Thema so wichtig?
Es geht mir vor allem darum, die komplexe Situation in allen Schattierungen darzustellen, ohne Schwarz-Weiß-Malerei, ohne Klischees. Außerdem habe ich ein Faible für Romane, die aus einer Isolation entstehen, einer Situation, die die räumliche Reichweite des Protagonisten einschränkt.

Für Robert Turin, Ihre an Multiple Sklerose erkrankte Hauptfigur, gibt es ein reales Vorbild?
Ja. Diesem Vorbild ist der Roman auch gewidmet. Ohne die realen Erfahrungen mit Robert Meran, den ich während meines Zivildiensts kennengelernt habe, wäre es nicht gegangen. Aber natürlich gibt es auch ein wenig Fiktionales und Vermischung mit anderen Vorbildern.

Das Wort Selbstmord kommt nie vor oder ist hinter schwarzen Balken versteckt. Warum?
Das hat mit der Tabuisierung des Themas zu tun. Und die kommt einerseits von der Situation in einem katholischen Pflegeheim, aber auch vom Protagonisten selbst. Er weiß ja, dass, wenn er vom Freitod spricht, alle sofort weglaufen.

Das erste Wiener Heimorgelorchester
Das erste Wiener Heimorgelorchester © (c) Johannes Zinner (Johannes Zinner)

Darf man Ihren Roman auch als Plädoyer für einen begleiteten Freitod verstehen?
Nein. Es soll eine umfassende Darstellung aller möglichen Standpunkte und Reaktionen sein. Patienten und Angehörige sind in dieser Sache sehr allein und auf sich gestellt. Ich kann jede mögliche Reaktion gut nachfühlen. Aber ich habe auch Respekt für die Entscheidung, die Freitodbegleitung in Anspruch zu nehmen.

Sie schreiben über die Abgründe der moderne Arbeitswelt, über Sterbehilfe . . . Wie wichtig ist es Ihnen, als Autor gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen?
Ich kann mir nicht vorstellen, über etwas anderes zu schreiben als die Probleme und Konflikte der heutigen Gesellschaft. Ich kann mich schreibend schwer aus der Welt entfernen, die mich umgibt. Und ich habe auch bei zeitgenössischen Romanen oft, wenn sie sich weit in die Vergangenheit oder die Zukunft bewegen, ein gewisses Unbehagen. Wenn ich die Autorin, den Autor nicht spüre und mir denke: „Das geht sich alles so nicht aus“, dann verliere ich beim Lesen das Interesse.

Mit dem Ersten Wiener Heimorgelorchester verbinden Sie die Literatur mit der Musik. Wofür schlägt Ihr Herz mehr?
Ich schreibe, seit ich acht war. Ich mache Musik, seit ich zehn war. Ein kleiner Vorsprung für die Literatur. Aber die Musik des Heimorgelorchesters hat auch mit Literatur zu tun. Also: Ein großer Vorsprung für die Literatur.

Sie bloggen, sind auf Twitter und Facebook. Wie wichtig sind die sozialen Medien heutzutage für einen Künstler? Und wie lange können Sie persönlich auch einmal darauf verzichten?
Meine Ausstiegsversuche aus Facebook sind bisher gescheitert. Zwei Monate war der Rekord. Im Grunde ist bei Twitter und Facebook alles wie im Leben: Es kommt zu schönen Begegnungen und manchmal geht einmal das alles unendlich auf die Nerven. Oder besser gesagt: Man geht sich selbst auf die Nerven, wenn man feststellt, dass man schon eine halbe Stunde nur auf Facebook herumklickt, ohne Bemerkenswertes gelesen oder gesehen zu haben.

Erinnern Sie sich eigentlich noch gerne an Ihre Teilnahme 2011 am Bachmann-Wettlesen?
Halb gerne. Die Teilnahme hat mir den Start als Prosaautor ermöglicht. Der Roman „Standby“ ist danach sehr gut angekommen. In der Wettbewerbssituation, die ja eher einer Casting-Show gleicht, fragt man sich allerdings auch manchmal, ob es dabei tatsächlich um Literatur geht. Doch ich habe das jetzt hinter mir. Vielleicht werde ich einmal im Leben für den Deutschen Buchpreis nominiert. Dann bin ich mit Wettbewerben aber durch.

Und zuletzt: Was lesen Sie selbst eigentlich gerade?
Kurzgeschichten von Anton Tschechow. Er ist als Erzähler ein Gigant, gerade in der Kurzprosa. Und ich will mich nach „Königin der Berge“ wieder stark verändern. Da brauche ich einen großen Lehrmeister.