Zdeněk Adamec, der sich am 6. März 2003 im Alter von 18 Jahren auf dem Prager Wenzelsplatz mit Benzin übergoss und in Brand steckte, hatte zwei Vorbilder: die Studenten Jan Palach und Jan Zajíc, die sich 1969 beide am selben Ort kurz nacheinander aus Protest gegen die sowjetische Unterdrückung des Prager Frühlings verbrannten.

Den beiden ist dort heute ein Denkmal gewidmet, sie werden als Helden verehrt. Adamec’ Tat aber wurde von Politik und Medien rasch als Akt eines Sonderlings abgetan. International fand sein Fall kaum Beachtung, obwohl er in seiner Heimat Tschechien 16 gleichfalls jugendliche Nachahmer hatte.

Dem einzelgängerischen Mittelschüler und Computerhacker Zdeněk Adamec also widmet Literaturnobelpreisträger Peter Handke sein jüngstes Stück; es geht den Motiven des Suizids nach und entblößt die opportunistische Haltung einer Öffentlichkeit, die bequem genug ist, eine Verzweiflungs- zur Wahnsinnstat umzudeuten. Dazu legt Handke seinem Protagonisten ein Anliegen in den Mund, das eigentlich Jan Zajíc 1969 in seinem Abschiedsbrief geäußert hat: „Bitte, macht keinen Verrückten aus mir!“

Adamec selbst nannte in einem hinterlassenen Schreiben unter anderem den Zustand der Demokratie, die Machtverhältnisse und das Diktat des Geldes als Gründe für seine Tat. Sie deutet Handke als gültige Argumente für ein Verzweifeln an der Welt; und das Beharren auf dieser Differenzierung gibt dem Protagonisten die Würde wieder, die ihm die achtlose Zuschreibung als armer Irrer nahm.

Dabei reiht der Stücktext biografische Zuspitzungen und Anekdoten, Spannungen, Stimmungen, Pop-Zitate von Chuck Berry bis zu den Los Bravos und literarische Anspielungen von Goethe bis Weinheber aneinander, erzählt von Weltsuche, Wortlosigkeit und Zurückweisung, ohne Handlungslogik, Rollenzuordnungen, Ort. Adamec, die Zentralfigur, bleibt selbst abwesend, die Bühne will der Autor laut Regieanweisung mit einem diversen Häuflein von "Feierabendleuten“ bevölkert wissen.

Regisseurin Friederike Heller verteilt also in ihrer vierten Handke-Inszenierung den kaleidoskopischen Text auf sieben Schauspielerinnen und Schauspieler, Christian Friedel, Luisa-Céline Gaffron, André Kaczmarczyk, Eva Löbau, Nahuel Pérez Biscayart, Hanns Zischler und Handkes Ehefrau Sophie Semin, und stellt sie, zumal anfangs, nacheinander zum Monologisieren an die Rampe. Derlei erzählt natürlich auch von der Schwierigkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, von der Unfähigkeit, sich mit der fast unaussprechlichen Verzweiflung auseinanderzusetzen, die einen Menschen treiben kann. Aber zugleich überantwortet es diesen so sinnlichen Text den Schauspielern nicht, sondern macht aus ihnen bloße Deklamiergestalten – da hilft es auch nicht viel, dass Heller und ihre Darsteller den handkeschen Sound, die besondere Musikalität seiner Sprache extrem gut draufhaben.

Als Einziger vermittelt Friedel erschütternde Innerlichkeit, ansonsten wirkt diese Inszenierung, wiewohl mit souveränen Pointen und schwebenden Momenten ausgestattet, wie mit gezogener Handbremse in Bewegung gesetzt. Und dazu gesellen sich, in Sabine Kohlstedts zierlichem Möglichkeitsraum und Olaf Freeses exquisitem Licht, etliche gar zu wohlfeile Bilder: Ist von Adamec’ Hackergruppe namens „Darkers“ (Verdunkler) die Rede, wird es auf der Bühne pünktlich finster, und natürlich wird Leonard Cohens am Theater immer wieder gern durchgenudelte Hymne „Hallelujah“, im Text nur kurz erwähnt, zum aberhundertsten Mal vor ein Bühnenmikro gezerrt.

Aber vielleicht wirkt die Produktion auch nur aufgrund der besonderen Umstände dieser Festspiele so unentschlossen: Weil dank Corona-Sitzordnung das kleine Salzburger Landestheater dem großen Medieninteresse am jüngsten Werk des Literaturnobelpreisträgers keinesfalls hätte gerecht werden können, saß die Kritik am Abend vor der offiziellen Uraufführung bei der Vorpremiere. Ein anderer Schwungverlauf ist da wohl zu berücksichtigen.

Vielleicht heißt es für eine aufregendere, leibhaftigere und streitlustigere Bühnenversion des Stoffs aber auch einfach bis Februar 2021 warten. Dann nämlich nimmt sich Regieleviathan Frank Castorf das Stück am Wiener Burgtheater vor.