Wut ist ein guter Motor. Martin Kušej ist wütend, und er möchte, dass das seinem letzten Burgtheater-Spielplan anzusehen ist. Dahingestellt sei, inwieweit seine Wut auch von seiner Nichtwiederbestellung als Burg-Direktor genährt wird. Gerichtet ist sie jedenfalls gegen die Aushöhlung der Demokratie durch z. B. Identitäre und Populisten, die eine "Festung Österreich" bauen wollen. Es geht 2023/24 also künstlerisch gegen Rechts – "und damit meine ich auch einen Begriff wie 'rechts der Mitte'", sagt Kušej.

Das Burgtheater tue jedenfalls "gut daran, hier an vorderster Front Haltung zu zeigen". Im Spielplanheft führt er dafür persönliche Gründe an: In seiner Grazer Studentenzeit sei ein alternatives Kunst-Event, an dem er beteiligt war, von Neonazis überfallen worden. Dass damals sieben Skinheads 200 Besucher in die Flucht schlugen, habe sich ihm eingebrannt, so Kušej; die aktuelle Lage im Land erinnere ihn nun an "die Feigheit und Haltungslosigkeit" der Kulturinteressierten von damals, "die in ihrer zigfachen Überlegenheit keine Gemeinsamkeit im Handeln fanden, sondern sich ängstlich davonmachten, als es darum ging, Widerstand zu leisten und dafür etwas zu riskieren". Darum dürfe man sich aktuell nicht "hinter der Fassade einer unpolitischen Kunst verstecken", argumentiert Kušej in seinem Editorial. Auf der Burgtheater-Bühne ergänzt er nun, sich der selbst gewählten Aufgabe "durchaus gut gelaunt und durchaus kämpferisch" stellen zu wollen.

Jauchengrube als Bühnenbild

Insgesamt 23 Premieren verzeichnet die nächste Saison, die unter dem Motto "Aufwachen, bevor es wieder finster wird" steht. Gesellschafts- und Sprachkritik, Ausgrenzung und Gratwanderungen im politischen Kampf sind da die großen Themen. Stücke von Ferdinand Schmalz, Thomas Köck, Peter Handke und Thomas Bernhard repräsentieren die österreichische Dramatik, die Inszenierungen werden von zehn Regisseurinnen und zwölf Regisseuren bestritten.

Der Burg-Chef selbst wird Regie bei zwei Projekten führen: im Herbst bei Molieres "Der Menschenfeind" (Premiere 17. 11.), für Kušej ist die Titelfigur eigentlich ein "Menschenfreund, der die Verlogenheit seiner Umgebung nicht aushält". Das Bühnenbild besorgt sein langjähriger Compadre Martin Zehetgruber: Einen "Spiegelraum, der mit glattem Parkett prunkt, darunter eine Jauchengrube", kündigt Kušej lächelnd an, offenbar ist das als Maßarbeit für Wien angelegt. Im Frühjahr 2024 inszeniert der Hausherr im Burgtheater dann Tennessee Williams' "Orpheus steigt herab" über den Alltagsrassismus in einer US-Kleinstadt – die könnte bei Kušej aber auch in Kärnten liegen.

Dazwischen liegt auf der Hauptbühne des Hauses eine Saison, die mit Shakespeares "Sommernachtstraum" eröffnet wird, inszeniert von Barbara Frey, mit Birgit Minichmayr als Puck (ab 3. 9.). Es folgen Jonathan Spectors Seuchendrama "Die Nebenwirkungen", inszeniert von Jan Philipp Gloger (ab 30. 9.), Büchners "Dantons Tod" in der Regie von Johan Simons sowie Adena Jacobs Inszenierung von "Nosferatu" nach Bram Stoker, angereichert mit Texten von Gerhild Steinbuch. Im Februar dann das "Pièce de Résistance", wie Kušej ankündigt: Thomas Bernhards "Heldenplatz", inszeniert von Frank Castorf. Das Stück wieder zu spielen, habe nichts mit dem 35-Jahr-Jubiläum der Peymann-Uraufführung an der Burg zu tun. "Sondern mit der Lage im Land", sagt Kušej. Letzte Burg-Premiere und beziehungsträchtiges Finale seiner Intendanz: Herbert Fritsch macht sich einen Spaß mit dem "Zentralfriedhof", bekanntlich wird ja nirgends so schön gestorben wie in Wien.

Handkes "Kaspar" ist wieder aktuell

Am Akademietheater folgen auf "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" nach Rainer Werner Fassbinder als Eröffnungspremiere (5. 9., Regie: Lilja Rupprecht) Nino Haratischwilis Drama "Phädra, in Flammen" (7. 10., Regie: Tina Lanik) und ein Klassiker der österreichischen Nachkriegsliteratur: Peter Handkes "Kaspar" (ab 10. 11., Regie: Daniel Kramer). Kritik an einer vom Faschismus geprägten Sprache, "die wieder sehr aktuell ist", meint Kušej. Darauf folgen Ferdinand Schmalz' aufs weibliche Nibelungen-Personal fokussierte "Hildensaga" (15. 12., Jan Bosse), "Die Verwandlung" nach Kafka (20. 1. 2024, Lucia Bihler) und Goethes "Iphigenie auf Tauris" (23. 2.). Ulrich Rasche, mit dessen "Bakchen" Kušej seine Burg-Ära eröffnete, wird hierbei Regie führen. Letzte Akademietheater-Premiere im März 2024 wird Martin McDonaghs "Der einsame Westen", inszeniert von Mateja Koležnik.

Auch an den kleineren Spielstätten gibt es üppiges Programm: Im Vestibül wird im Februar 2024 das Siegerstück des Retzhofer Dramapreises 2023 uraufgeführt. Im Kasino sind etwa Thomas Köcks "Solastalgia", die Jugendtheaterproduktion "Der Herr der Diebe" und Ibsens "Peer Gynt" geplant. Derweil übersiedelt die Kasino-Produktion der "Zauberflöte" noch im Juni auf die große Burg-Bühne: wegen der großen Nachfrage, wie man erfreut vermeldet. Die stabilisiert sich insgesamt: Die Gesamtauslastung aller vier Häuser lag zuletzt bei 77 Prozent trotz 50 geänderter oder verschobener Aufführungen bis Ende April. Die Personallage ist stabil, mit Ensemble-Stars wie Tobias Moretti und Klaus Maria Brandauer, der im Juni 80 wird, werde noch über Rollen verhandelt, sagt Kušej. Auch ein Neuzugang ist fix: Die Oberösterreicherin Julia Windischbauer, im Vorjahr im Beziehungsdrama "Para:dies" mit dem Diagonale-Schauspielpreis ausgezeichnet, wechselt vom Deutschen Theater Berlin nach Wien.