Sie haben in Salzburg schon gespielt, der Festspielrummel ist Ihnen bekannt. Hat Sie das Spektakel um den „Jedermann“ trotzdem überrascht?
LARS EIDINGER: Nee. Meiner bisherigen Erfahrung nach kann man sich dem Rummel ganz gut entziehen. Ich glaube, man kann sich bewusst dagegen entscheiden, ein Schauspieler zu sein, den die Leute vor allem aus der Zeitung kennen.

Aber wer den Jedermann übernimmt, spielt die Rolle nicht nur auf dem Domplatz, er muss den Jedermann-Darsteller auch auf der Bühne Salzburg performen. Dem obligaten Fassbier-Anstich im Stiegl-Keller nach der Premiere zum Beispiel werden Sie sich nicht entziehen können.
EIDINGER: Klar, da komm’ ich nicht herum. Aber damit habe ich kein Problem. Und auch nicht damit, dass mich jemand auf der Straße anspricht. Wenn man nur dazu aufgefordert wird, ein Foto zu machen, weiß ich nie, wie ich gucken soll. Aber dass die Leute zu einem in Kontakt treten und man in Austausch kommt, ist letzten Endes ja genau das, was ich will.

Ihr Regisseur Michael Sturminger hat Sie als ganz neuen Jedermann angekündigt. Was unterscheidet Sie von den Bühnen-Patriziern, die man bisher mit dem Jedermann assoziiert hat?
EIDINGER: Das ist schwer zu beantworten. Ich bin ja nie konzeptionell an meinen Beruf rangegangen. Ich versuche eigentlich nur einen Zugang zu finden. Aber ich nehme natürlich wahr, dass gewisse Schauspieler anders an ihren Beruf rangehen als ich.

Bei der „Jedermann“-Pressekonferenz nannten Sie sich selbst einen „reichen, privilegierten, toxischen Mann“. So haben Jedermann-Darsteller bisher eher nicht über sich selbst gesprochen.
EIDINGER: Das ist, glaube ich, meine größte Angst: Dass, wenn ich den Jedermann spiele, die Leute jemand anderen in der Figur vermuten und nicht sich selbst. Weil: Sie sind gemeint. Und das versuche ich darüber zu erreichen, dass ich mich meine. Das ist etwas, das viele missverstehen, aber für mich ist es wichtig, mich als Künstler selbst zur Disposition zu stellen. Ich würde mich also stets als einen Teil des Problems beschreiben.

Die Job-Description überrascht.
EIDINGER: Das Missverständnis liegt oft darin: Ich thematisiere Narzissmus, weil ich der Meinung bin, dass wir im Zeitalter des Narzissmus leben. Und die Leute denken: Aha, der zeigt mir jetzt sein narzisstisches Problem! Aber wenn ich sage: Ich stelle mich als reicher, toxischer Mann auf die Bühne, ist die Idee, dass der Zuschauer sich in mir wiedererkennt.

Dafür verwandelt man sich?
EIDINGER: Vielleicht ist das eine sehr eigene Herangehensweise, aber ich würde meinen Beruf nie so beschreiben, dass ich mich verwandle. Ich versuche im Spielen immer bei mir zu bleiben. Ich entferne mich nicht von mir und werde mir auch nicht fremd dabei. Im Gegenteil, ich erkenne mich eher. Das ist mein Zugang und reiner Eigennutz – dass ich selbst dabei am meisten über mich lerne und verstehe.

Heißt das, Sie spielen gar nicht für das Publikum?
EIDINGER: Man könnte natürlich sagen: Wenn’s dir darum geht, warum machst du das nicht einfach zu Hause? Warum muss das zwingend vor Leuten stattfinden? Weil ich daran glaube, dass ich die Zuschauer als Gegenüber benutzen kann, um reflektieren zu können. Ich sehe mich sozusagen im Publikum wieder, in der Wahrnehmung, die andere mir gegenüber haben. Die Hoffnung ist, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.

Unterscheidet Sie das am stärksten  von anderen Schauspielern?
EIDINGER: Da stolpere ich jedes Mal. Ich habe in München gerade mit einem sehr prominenten Kollegen gesprochen. Er erzählte, er habe gerade einen Drehtag gehabt und dabei „wieder gut gelogen.“ Ich würde meinen Beruf genau gegenteilig beschreiben. Ich versuche, zu mir selbst aufrichtig zu sein; das Lügen und Verstellen führt einen immer von einem selbst weg. Ich verstehe auch gar nicht, warum das Symbol für Theater zwei Masken sind. Die Maske fallen zu lassen und mich zu erkennen zu geben empfinde ich als wahnsinnig lustvoll.

Lars Eidinger als Jedermann (hier mit Edith Cleve als Tod): "Die Maske fallen zu lassen und mich zu erkennen zu geben empfinde ich als wahnsinnig lustvoll."
Lars Eidinger als Jedermann (hier mit Edith Cleve als Tod): "Die Maske fallen zu lassen und mich zu erkennen zu geben empfinde ich als wahnsinnig lustvoll." © APA/BARBARA GINDL

Wen immer Sie spielen, Sie wollen, dass das Publikum auf der Bühne Lars Eidinger sieht?
EIDINGER: Wenn ich mich tatsächlich in jemand anderes verwandeln soll, warum nimmt man dann nicht einfach jemand anderen? Theater ist ja nicht der Zirkus, wo man sagt: Wow, der kann sich verwandeln, ich habe ihn gar nicht erkannt! Früher dachte ich auch immer, Schauspieler sind toll, wenn man sie nicht erkennt. Heute würde ich das Gegenteil behaupten: Ich will den Schauspieler wiedererkennen!

Was hat Sie umgedreht?
EIDINGER: Als ich angefangen habe mit Theater, hieß es immer: „Dein privater Scheiß interessiert hier nicht.“ Aber ich glaube, das ist das Einzige, was interessiert. Nur wenn ich bereit bin, den Leuten meinen privaten Scheiß zu präsentieren, haben sie die Chance, ihren privaten Scheiß darin wiederzufinden.

Da nehmen Sie sich viel vor.
EIDINGER: Nicht weil ich einen missionarischen Auftrag hätte. Ich will nicht die Gesellschaft ändern. Ich versuche mich zu ändern, mich in der Vorstellung selber komplett infrage zu stellen. Da geht es darum, sich nicht sich einzurichten oder festzufahren in einer Weltsicht, sondern sich immer wieder aufs Neue zu hinterfragen, sich auch öffentlich zu irren und zu täuschen.

Ist das in einer dermaßen überfrachteten Rolle wie dem Jedermann nicht besonders schwierig?
EIDINGER: Ist die denn überfrachtet? In welcher Hinsicht?

Mit dem Stück ist viel verbunden: Schuld und Erlösung, 100 Jahre Tradition und Bedeutungsmythos, das ganze Festspiel-Trara.
EIDINGER: Ich glaube, dass es möglich ist, sich davon zu lösen. Wir haben die Anlagen dafür. Die Bühne ist klar und einfach, und die Inszenierung ist sehr auf den Text und auf das Spiel konzentriert. Es gibt kaum Effekte, die davon ablenken könnten. Dass sich der Regisseur über das Stück stellt, ist – glaube ich – die Definition von Regietheater. Wir aber versuchen dem Stück gerecht zu werden und seine Geschichte zu erzählen. Das ist ja das Tolle an den Klassikern, dass sie immer unbedingt abhängig sind von dem, der sie interpretiert. Dadurch ist das immer neu. Zugleich ist es fatal, dass wir uns seit 100 Jahren immer wieder dieses Stück vorspielen, und die Leute sehen sich immer noch nicht darin. Warum erkennen wir uns nicht in dem reichen, privilegierten Mann? Warum denkt man immer, man guckt dem reichen Mann, mit dem man nichts zu tun hat, beim Scheitern zu?

Haben Sie eine Antwort darauf?
EIDINGER: Vielleicht steckt die Tragik schon im Begriff Klassiker. Es ist ein klassisches menschliches Problem und offenbar nicht zu überwinden.