Wenige Tage vor der Premiere Ihres neuen Programms „Kult“ kam der zweite Lockdown. Wie ist es Ihnen damit ergangen?
ULRIKE HAIDAICHER: Wir haben weitergeprobt, obwohl wir schon vermutet haben, dass die Premiere nicht stattfinden wird. Die andere Alternative wäre gewesen: Die Premiere findet statt, danach wird zugesperrt. Das wäre noch blöder gewesen. Wir hatten ein paar Auftritte im Herbst und schon gemerkt, dass sehr wenige Leute kamen. Und die, die sich trauten, waren sehr verhalten.
ANTONIA STABINGER: Es war ein bisschen so, als würde man einen Marathon laufen und auf dem Endspurt, kurz vor der Ziellinie, wenn man auf 180 ist, hört es auf. Das war sehr seltsam. Man schreibt monatelang an einem Programm, hat wochenlange Textarbeit hinter sich, gefolgt von intensiven Proben und einer Premiere.

Dieses Mal fehlte die Erlösung.
HAIDACHER: Gleichzeitig war die Verkündigung des Lockdowns auch irgendwie eine Erlösung. Wir haben die Premiere auf Mai verschoben. Damals dachten wir noch, damit sind wir sicher. Jetzt vielleicht nicht mehr.
STABINGER: Wir werden sehen.


Wie aktuell ist das Programm Monate später noch?
STABINGER: Da sich der Zustand, in dem wir uns befinden, nicht wirklich verändert hat, bleibt es ziemlich aktuell.
HAIDACHER: Es ist kein Corona-Programm. Wir werden es mindestens zwei Jahre spielen, daher kann es nicht tagesaktuell sein.



Hat Sie der erste Lockdown schon betroffen?
STABINGER: Ich habe mir gedacht: Schreiben kann ich überall. Ich möchte einmal irgendwo arbeiten, wo es warm, schön und das Essen gut ist. Also habe ich für zwei Monate ein Zimmerchen in Palermo auf Sizilien gebucht, meine Wohnung in Wien vermietet, Italienisch zu lernen begonnen, alles organisiert. Und dann kam Corona.

Welche Entschädigungen haben Sie bislang bekommen?
HAIDACHER: Wir sind neue Selbstständige und haben die SVS-Unterstützung bekommen.
STABINGER: Auch die Theater haben Entschädigungen bekommen und manche haben uns einen kleinen Betrag für jeden ausgefallenen Abend überwiesen, zum Beispiel das Kabarett Niedermair.
HAIDACHER: Für uns war es kein akuter finanzieller Einbruch. Ich frage mich aber, wie es längerfristig weitergehen wird und welche Folgen diese Pandemie für Theater- und Kabarettbühnen haben wird. Ein Beispiel: Wenn eine Premiere fixiert ist, wird man normalerweise im Anschluss für sehr viele Abende gebucht. Jetzt haben wir nur eine Handvoll fixierte Termine. Wir spielen normalerweise viel und oft in Deutschland, dort geht im Moment gar nichts.
STABINGER: Das nächste Jahr wird schwierig. Es geht vielen schlechter als uns: Wir machen regelmäßig Kolumnen für FM 4 oder arbeiten fürs Fernsehen: „Dinner für Zwei“ oder „Pratersterne“. Das federt ab. Auch psychisch. Dass wir breiter aufgestellt sind, ist von Vorteil.


Wie sehr fehlt das Live-Erlebnis?
HAIDACHER: Im Jänner vor einem Jahr waren wir eine Woche in Deutschland. Das fühlt sich an wie aus einem anderen Leben. Im Sommer gab es ein paar Sommerauftritte. Mittlerweile vermisse ich die Bühne schon sehr.
Wie wird sich denn die Kabarettszene ändern?
STABINGER: Ich fürchte, dass viele kleine Theater nicht überleben werden ...
HAIDACHER: ... viele hatten ja schon vor der Pandemie zu kämpfen. Die können im Sommer auch keine großen Open-Air-Veranstaltungen mit 1000 Leuten machen. Aber, was entscheidend, ist: Sie fördern den Nachwuchs und Gruppen, die nicht die Gassenhauer sind. All diese, fürchte ich, werden das in Zukunft zu spüren bekommen.
STABINGER: Es könnten viele feine Zwischentöne abseits vom Mainstream wegfallen.

Sind KabarettistInnen in dieser Krise näher zusammengerückt?
HAIDACHER: Es hat sich bald die IG Kabarett gegründet. Als im Frühjahr die Kultur in der Öffentlichkeit so gut wie nicht erwähnt wurde, gab es in der Branche einen Aufschrei.


Haben Sie überlegt, ins Netz auszuweichen?
STABINGER: Kabarett lebt sehr stark vom Live-Erlebnis und der Stimmung im Saal. Das alles fällt online weg. Man müsste das ganz neu denken und nicht nur 1:1 übersetzen.


Hat der Lockdown Sie in irgendeiner Art und Weise beflügelt?
HAIDACHER: Am Anfang hat mich der Stillstand gelähmt, mittlerweile arbeite ich wieder wie vorher.
STABINGER: Anfangs empfand ich es als eine sehr gemütliche, entspannende Zeit. Fruchtbar war unsere Hörspielserie „Das magische Auge“, die ich mit Berni Wagner, Leopold Toriser, Elias Hirschl mache. Die waren sehr motiviert und wir haben acht halbe Stunden produziert. Das hätte ich sonst wahrscheinlich nicht gemacht.

Sind neue Projekte in Sicht?
HAIDACHER: Ich hatte vor zwei Jahren ein Soloprogramm und von Anfang an war klar, dass daraus ein Roman werden soll, der nun fertig ist. Mein nächstes Projekt ist, wieder einmal, die „Flüsterzweieck“-Premiere.