Herr Föttinger, heute sperrt das Theater in der Josefstadt wieder auf. Am Montagabend wurde die Corona-Ampel für Wien auf Orange gestellt. Wie sehen Sie denn dieser Spielzeit entgegen?

Herbert Föttinger: Mit großer Freude! Immerhin hebt sich nach einem halben Jahr endlich wieder der Bühnenvorhang. Aber auch mit großer Sorge und großer Skepsis: wir wissen nicht, wie wir alle Covid-19-Erlässe und Verordnungen umsetzen werden können. Zudem befinden wir uns, was die Ampelregelung betrifft, im luftleeren Raum. Wir wissen aktuell nicht genau, wie wir uns verhalten sollen, denn es ist alles vage, nichts definitiv. Unser vermeintliches Wissen stammt aus einer der unzähligen Pressekonferenzen und wenn wir aus der Vergangenheit eines gelernt haben dann, dass dortige Aussagen und endgültige Verordnungen nicht immer deckungsgleich sind.

Wie genau wird die heute Eröffnungspremiere ablaufen?
Mit klaren Regeln: Maskenpflicht bis zum Sitzplatz und ein Meter Abstand für alle Personen, die nicht im selben Haushalt wohnen. Das ergibt dann eine Zwei-Drittel-Bestuhlung, also rund 400 Personen im Zuschauerraum.

Mit welchen Verlusten rechnen Sie für den Ausfall im Frühling und einer Spielzeit unter Corona-Bedingungen?
Es ist fast unmöglich zu diesem Zeitpunkt konkrete und valide Prognosen dazu zu treffen. Es ist ja nicht so, dass die Aussagen der Regierung nicht abschreckend wirken würden. Selbst wenn es irgendwann dazu kommt, dass die Ampelfarbe Orange nur 250 Menschen bei Indoorveranstaltungen zulässt, wie das ja sehr kurzzeitig mal vorgesehen war, heißt das ja nicht, dass auch wirklich 250 Zuschauer*innen kommen.

Herbert Föttinger hinter seiner Terrasse am Theater in der Josefstadt
Herbert Föttinger hinter seiner Terrasse am Theater in der Josefstadt © Ballguide/Christoph Kleinsasser

Gibt der Karten-Vorverkauf Auskunft über Angst oder Bedenken des Publikums?
Bei den Abonnent*innen merken wir das fast gar nicht. Wir haben ein großartiges, treues Publikum. Beim Freiverkauf jedoch ist diese Pandemie deutlich spürbar. Eine allgemeine Maskenpflicht, die auch ein Tragen der Maske während der Vorstellung miteinschließt, würde den Zuschauer*innen vielleicht ihre Ängste nehmen und könnte uns Theaterschaffende vor einer neuerlichen Schließung bewahren.

Claus Peymann inszeniert heute die Eröffnungspremiere „Der deutsche Mittagstisch“ von Thomas Bernhard. Wie haben Sie es geschafft, ihn ans Haus zu holen?
Wir sind schon lange in Kontakt und kennen uns aus jener Zeit, als er noch am Burgtheater Direktor war. Und während seiner Zeit am Berliner Ensemble haben wir uns in Wien getroffen und uns darauf geeinigt, dass er an der Josefstadt inszenieren soll. Es ist eine glückliche Symbiose.

Sagen wir so: Claus Peymann war nicht immer ein Freund Ihres Hauses?
Nein, aber damals hieß der Direktor noch nicht Föttinger.

Was machen Sie denn besser als Ihre Vorgänger?
Ich mache auf jeden Fall viele Dinge anders. Ob das dann „besser“ ist, müssen andere beurteilen. Auf jeden Fall ist es gerade eine aufregende Zeit für Theater.

Und eine spannende Zeit für einen Theaterbesuch in der Hauptstadt: das Burgtheater unter Martin Kusej und das Volkstheater ab 2021 unter Kay Voges. Wie werden Sie sich da positionieren?
Nachdem ich die Josefstadt seit fast 15 Jahren führe, ist es wohl nicht unbedingt an mir mich zu positionieren. Ich freue mich jedenfalls sehr über die Vielfalt, die gegenseitige Konkurrenz spornt uns alle an.

Der Josefstadt haftete lange ein verschnarchter, konservativer Ruf an. Wie alt ist Ihr Publikum im Durchschnitt?
Der Altersschnitt ist seit Beginn meiner Direktion um etwa 10 bis 12 Jahre nach unten gegangen. Ganz genau wissen wir es nicht, weil wir beim Eintritt keinen Personalausweis verlangt haben – jetzt schon, coronabedingt. Aber es geht überhaupt nicht um das Alter des Publikums, in der Josefstadt ist jeder willkommen. Als verschnarcht und konservativ wird man ja nicht hauptsächlich wegen seines Publikums verschrien, das hat schon auch etwas mit der Art und Weise zu tun, wie man Theater macht. Und da habe ich definitiv etwas zum Besseren verändert.

Im Lockdown haben Sie sehr laut Ihre Stimme erhoben: für das Kulturland Österreich und gegen die damalige Kunst- und Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek. Wie sind Sie denn mit der Arbeit der Neuen, Andrea Mayer, zufrieden?
Ich möchte korrigieren: Ich habe meine Stimme nicht gegen Ulrike Lunacek im Speziellen, sondern gegen die gesamte Bundesregierung erhoben. Wer ständig betont, dass Österreich eine Kulturnation ist, muss auch zur Tat schreiten, wenn es dieser Kulturnation an den Kragen geht. Und genau das hat die Bundesregierung vor allem zu Beginn des Lockdowns unterlassen. Meine laute Stimme hat sicher dazu beigetragen, dass die Kunst- und Kulturschaffenden irgendwann doch wahrgenommen wurden. Von dieser lauten Stimme werde ich auch in Zukunft Gebrauch machen. Nehmen wir die aktuelle Situation im Flüchtlingslager Moria. Die Haltung der Bundesregierung ist entsetzlich, sie erschüttert mich. Ich werde nicht schweigen.

Muss das Theater in solchen Zeiten aktiv werden und reagieren?
Ja, wir müssen reagieren, unseren Verstand einsetzen, Verantwortung tragen und zeigen, dass wir ein Rückgrat haben. Ich fand es großartig, wie Klaus Maria Brandauer bei „Im Zentrum“ öffentlich der Bundesregierung kontert. Es ist unsere Aufgabe, laut zu bleiben und kritisch zu sein. 

Und wie lautet nun Ihr erster Eindruck von Andrea Mayer?
Es ist eine Freude mit ihr zu diskutieren, sie versteht die Sorgen und Nöte der Kunst- und Kulturschaffenden ganz genau. Es ist ja ihr Metier, insofern kann sie sehr effizient für unsere Anliegen kämpfen. Und Kämpfen wird sie müssen, immerhin ist sie leider trotz allem auf das Geld des Finanzministers angewiesen, der trotz seines beruflichen Werdegangs nicht sonderlich viel mit der Kultur am Hut hat.