Matinee in der List-Halle vom 26. Juli

von Walther Neumann

Styriarte-Intendant Mathis Huber ging bei der Programmierung der Sonntagsmatineen neue Wege. Und hat für zwei davon jeweils bei einer Komponistin und einem Komponisten aus Österreich Uraufführungen bestellt. Mit dem mehrfach ausgezeichneten Wiener Minetti-Quartett lagen die beiden brandneuen Stücke in besten Händen. Hugo Wolfs „Italienische Serenade“ machte den Anfang. Das einsätzige, inhaltlich im Programm eigenwillig gedeutete Stück war auch der „Aufhänger“ für die darauffolgenden Uraufführungen. Erfreulich wohlklingend, gleichsam „harmonisch“ im besten Sinne, erklangen die drei „Mondnacht“-Stücke der vielseitigen und in Graz ausgebildeten Salzburgerin Ángela Tröndle. Christoph Ehrenfellner, ebenfalls Salzburger, verpackte „Quixotes Ständchen“, vom fassbareren, in Richtung Mahler weisenden Mittelteil abgesehen, in ein bizarres Gewand. Bei Joseph Haydns meisterlich interpretiertem G-Dur-Quartett op. 77/1 mit atypischem Presto-Menuett wich die Nacht dem leuchtenden Tag.

Feuerwerksmusik in der List-Halle vom 25. Juli

von Michael Tschida

Bei Freiluftkonzerten spielt der Wettergott erste Geige, und derzeit ja häufig in Moll. Wegen meteorologischen Unsicherheit musste die styriarte gestern die ersten zwei ihrer drei Termine der „Feuerwerksmusik“ vom Hof des Schlosses Eggenberg in die List-Halle verlegen. Damit ging ein Teil des festlichen Charakters der titelgebenden Suite verloren, hatte Händel sie doch im Londoner Green Park uraufgeführt, bei – genau! – Regen. Aber dafür entschädigte die Interpretation: Oboist und Primus inter Pares Alfredo Bernardini, der seine Barocktruppe Zefiro und das Festspiel-Orchester zu einem hoch dynamischen Ensemble verschmolzen hatte, lieferte eine beispielhaft spritzige Version des Werks aus 1749, mit viel Risiko bei Tempo und Dynamik und viel klangfarbenem Gewinn. Ja, das funkte – auch bei der Serenata in C von Fux und dem Brandenburgischen Konzert Nr. 1 von Bach, bei denen wie bei Händel speziell die Bläser brillierten. Feurig, erhebend.

Schubertiade! vom 24. Juli

von Eva Schulz

Die erste Schubertiade orientierte sich an Schuberts „Privatkonzert“ vom März 1828, bei dem ausschließlich seine Werke aufgeführt wurden. Das Streichquartett in G war für Maria Bader-Kubizek, Aki Saulière, Axel Kircher und Rudolf Leopold eine besondere Herausforderung, da die vier Virtuosen kein seit Langem eingespieltes Ensemble bilden. Dessen ungeachtet, geriet das komplexe Werk eindrucksvoll, sensibel und packend. Zwischen den Sätzen sang Mezzosopranistin Stephanie Houtzeel abendliche Lieder. Dass sie auch in der Oper daheim ist, war großem musikalischem Gestus und dramatischen Effekten anzumerken. Florian Birsak fand am Hammerklavier die ideale Balance zwischen begleitender und eigenständiger Interpretation. Das Ständchen „Zögernd leise“ (mit der Camerata Styria) bildete den entzückenden Schlusspunkt.

Schubertiade!! vom 24. Juli

von Eva Schulz

Wollte man die Höhepunkte der zweiten Schubertiade
erwähnen, müsste man das Programm Punkt für Punkt aufzählen. Das Streichquartett Maria Bader-Kubizek, Aki Saulière, Axel Kircher und Rudolf Leopold gestaltete mit Florian Birsak (Hammerklavier) und Tenor Daniel Johannsen einen ergreifenden Abend, Interpretationen voll Tiefe und Intensität, voll Sentiment ohne Sentimentalität. Das Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ geriet ebenso berührend schön wie das gleichnamige Vokalwerk. Johannsen, der erst kürzlich seine Schubert-CD („Lieder ohnegleichen“) präsentierte, trifft in seiner Interpretation immer einen sehr natürlichen, eindringlichen Ton. Die Zugabe „An den Mond“ vereinte in der Bearbeitung von Walter Bass alle sechs Interpreten.
Das Resümee nach zwei Schubertiaden: Wochenlang darauf gefreut, Erwartungen weit übertroffen.

Hörfunkübertragung: Freitag, 7. August, 19.30 Uhr, Ö1

"Klezmer Bridges" in der Grazer List-Halle, 22. Juli

von Michael Eder

Nach einem geschichtsbewussten und in mancher Hinsicht ansprechenden Vorspiel im Foyer der List-Halle mit Schlagern der Wiener Liederlegende Hermann Leopoldi gab sich im Saal das Moritz Weiß Klezmer Trio die Ehre und spielte Interpretationen traditioneller Melodien sowie eigene Kompositionen. Überliefertes Liedgut wurde dabei mit einer kleinen Prise Innovation vorgetragen und ließ hin und wieder Einflüsse aus dem Jazz durchblicken.

Spannender waren die eigenen Stücke aus der Feder und Klarinette von Moritz Weiß, die durchaus die Grenzen des Genre austesteten, wie etwa bei „Der Fleischwolf“. Mit wenig Scheu vor Formbrüchen und klanglichen Experimenten schuf das junge Trio aus Graz ein ansprechend modernes Klangbild und konnte trotzdem mitreißende Unterhaltung bieten. Für durchgängig hohe Qualität sorgten dabei Niki Waltersdorfer an der Gitarre und und Maximilian Kreuzer am Kontrabass.

"Mondscheinsonate" in der Grazer List-Halle, 21. Juli

von Michael Eder

Bei ihrer diesjährigen Erkundung des Nächtlichen sah die styriarte mit romantischem Schwermut gleichsam durchs Dach der List-Halle hinauf zum Mond. Dazu leuchtete mit Bernd Glemser am Klavier ein gut sichtbarer Stern. Neben Ludwig van Beethoven, mit der für solche Anlässe obligatorischen Sonate „Quasi una Fantasia“ (op. 27/2), schauten auch Frédéric Chopin und Franz Liszt mit.

Beethovens „Mondscheinsonate“ begann gefühlvoll, aber doch ein wenig brav. Der letzte Satz entlohnte dafür mit spielerischer Stärke und gelungenem expressiven Ausdruck. Bei Chopins „Nocturnes“ op. 27 nutzte Glemser effektvoll die Dynamik der Stücke. Insbesondere die leichtmütigere Nr. 2 in Des-Dur blieb in guter Erinnerung. Liszts Transkription von „Elsas Traum“ aus Wagners „Lohengrin“ war etwas einerlei, während „Oh du mein holder Abendstern“ wieder besser überzeugte. Mit einer temporeichen Darbietung von Liszts „Mephistowalzer“ zeigte Glemser am Ende noch einmal sein beachtliches Können.

Hörfunkübertragung: 4. August, 19.30 Uhr, Ö1

"Geistertrio" in der Grazer List-Halle, 20. Juli

von Martin Gasser

Christa Schönfeldinger an der Glasharmonika. (Im Hintergrund Floris Fortin)
Christa Schönfeldinger an der Glasharmonika. (Im Hintergrund Floris Fortin) © styriarte/Wagner

Die Glasharmonika und das Hammerklavier: Beide Instrumente sind in ihrer klanglichen Zartheit dazu angetan, Assoziationen mit unkonturierten, flüchtigen Wesenheiten zu evozieren, mit Phantomen und Geistern. Mozarts Adagio und Rondo KV 617 für Glasharmonika ist bei Christa Schönfeldinger in versierten Händen. Der zum Zerspringen fragile Klang hat eine ebenso spannende psychologische Wirkung wie jener des Hammerklaviers: Im Largo assai von Beethovens Klaviertrio in D-Dur hört man ein sanftes Säuseln, das Hörer mit lebhafter Fantasie als gespenstisch interpretieren.

Pianist Florian Birsak und die Streicher Fritz Kircher und Luis Zorita spielen das „Geistertrio“ sowie Haydns Klaviertrio mit dem Beinamen „Jakobs Traum“ gespenstisch gut: klanglich wunderbar aufeinander eingespielt und atmosphärisch stimmig. Dazwischen gibt es noch Anmutiges von Johann Christian Bach, von exquisiten Bläsern dargeboten.

Hörfunkübertragung: 4. August, 19.30 Uhr. Ö 1.

"Sommernachtstraum" im Freilichtmuseum Stübing, 18. und 19. Juli

von Michael Eder

Herrliches Ambiente: Das Freilichtmuseum Stübing bei der styriarte
Herrliches Ambiente: Das Freilichtmuseum Stübing bei der styriarte © Milatovic/styriarte

Zum Abendspaziergang lud das Festival ins Freilichtmuseum Stübing. Den Startpunkt setzten die Citoller Tanzgeiger, die mit Liedern und Jodlern professionelle Amateurhaftigkeit zeigten: komplett mit Spielfehlern und viel Humor. Solch bäuerliche Romantik suchte man im Folgenden von Bertl Mütter vergeblich. Der Posaunist ließ unter dem Titel „Trombonische Nachtspiele“ dem nächtlichen viel Freiraum. Eine fesselnde Solodarbietung mit leicht schaurigem Unterton. Studio Dan spielten aus Karlheinz Stockhausens „Tierkreis“ (1975). Die an sich gute Performance wollte sich aber nicht immer stimmig in die Naturkulisse einfügen. Sehr gelungen in die Landschaft gesetzt war dagegen eine Lesung aus Shakespeares „Sommernachtstraum“. Johannes Silberschneider schaffte es, den Humor aus dem Text zu kitzeln, und erntete einige Schmunzler und Lacher.

Die schließlich von Hirundo Maris gebotenen nordischen Lieder hätten einen stimmigen Ausklang für eine laue Sommernacht geschafft. Einzig die Temperaturen waren anderer Ansicht und zeigten sich unsolidarisch unsommerlich.

Haydn im Salon, Grazer List-Halle am 19. Juli

von Martin Gasser

Als charmanten Gag zum Nacht-Thema des heurigen Festivals platzierte die styriarte eine Matinee mit dem „Lerchen-“ sowie dem „Sonnenaufgangs-Quartett“ von Joseph Haydn. Das in Eisenstadt ansässige Haydn Quartett zeigte sich als perfekt aufeinander eingespieltes Ensemble, das die Stücke seines Namenspatrons ohne Spektakel, mit unprätentiöser Genauigkeit interpretiert. Im Adagio des „Sonnenaufgangs“ schürfte man tief, während die virtuosen Sätze ganz entspannt wirkten. Der Klang war ungemein homogen, die Stimmen austariert, selbst die erste Geige stach nie mehr als nötig heraus.
Dabei machte das Haydn Quartett die folkloristischen Schwebstoffe dieser Musik subtil hörbar, nicht nur in den Trios, sondern auch in den Melodien der Kopfsätze und den lustigen Finale: Goethe vermeinte ja, bei Streichquartetten eine Unterhaltung vier vernünftiger Leute zu hören. Das Ensemble machte deutlich, dass Haydn ganz leicht im burgenländischen Dialekt spricht. Und das macht diese Musik erst so menschlich.

"Don Giovanni in Nöten" in der Grazer List-Halle, 17. und 18. Juli

von Michael Tschida

Sopranistin Miriam Kutrowatz (23) bezauberte als Zerlina
Sopranistin Miriam Kutrowatz (23) bezauberte als Zerlina © styriarte/Nikola Milatovic

Bei der styriarte war „Don Giovanni in Nöten“. Nicht nur wegen seines bligaten Hormonstaus, nein: gleich das ganze Drama Mozarts. Wegen Corona. Zu wenige Solisten! Aber Not macht ja erfinderisch, also sorgten Karl Böhmer (Text) und Adrian Schvarzstein (kleine Szenerie) in der List-Halle für eine Short Story der Oper aller Opern, und Harry Lampl machte als eine Art Opernführer (nicht durchwegs gelungene) Spassetln.

Michael Hofstetter, statt dem von Rückenproblemen geplagten Andrés Orozco-Estrada am Pult, führte das styriarte Festspiel-Orchester zu duftigem Klang. Der französische Bass Damien Gastl sang solide den Giovanni, Daniel Johannsen mit hellem Tenor den Don Ottavio. Tetiana Miyus gab mit Kristallsopran die zornesrote Donna Elvira. Und die bezaubernde Miriam Kutrowatz zeigte als Zerlina ihren fein gerundeten Sopran; man muss kein Prophet sein, um der erst 23-jährigen Wienerin, Tochter des Pianisten Eduard Kutrowatz, eine schöne Karriere vorauszusagen.

Im Radio: 31. Juli, 19.30 Uhr, Ö1.

"Eine kleine Nachtmusik" in der Grazer List-Halle, 16. Juli

von Walther Neumann

Eva Maria Pollerus im Kreis der Palais Attems.Hofkapelle
Eva Maria Pollerus im Kreis der Palais Attems.Hofkapelle © styriarte

„Eine kleine Nachtmusik“ – so hieß der dreimal in der Grazer Helmut-List-Halle erklingende Mozart-Abend bei der styriarte. Eva Maria Pollerus als Solistin traf zusammen mit den elf ganz vorzüglichen Streichern der „Palais Attems.Hofkapelle“ haarscharf die vorgegebenen Tempi. Mit selbstverständlicher und unprätentiöser Phrasierung führte die an der Grazer Musikuniversität tätige Cembalistin auf einem von Robert Brown vor zwei Jahren hergestellten Hammerklavier durch die drei Sätze des A-Dur-Konzerts KV 414. Die mustergültig dargebotene, demnächst auch schon wieder 233 Jahre alt werdende „Kleine NachtMusick“ KV 525 komplementierte dieses dem Salzburger Genius gewidmete, heftig akklamierte (Nacht-)Konzert.

Unterbrochen wurden die musikalischen Darbietungen durch von Florian Teichtmeister temperamentvoll vorgetragene Briefstellen Mozarts, die auf nicht gerade humorlose Art und Weise Menschlich-Allzumenschliches aus der Sicht des Komponisten hervorkehrten.

"La Nuit" in der Grazer List-Halle, 15. Juli

von Michael Tschida

Arianna Savall und Lorenz Duftschmid in der List-Halle
Arianna Savall und Lorenz Duftschmid in der List-Halle © Milatovic/Styriarte

Eigentlich hätte Jordi Savall mit seinem Gambenconsort den Abend bestreiten sollen, doch Corona machte auch für den demnächst 79-jährigen Katalanen, der erstmals seit 1993 nicht bei der styriarte dabei ist, alles anders. Aber es gibt ja Lorenz Duftschmid, seinerzeit in Basel Schüler des Zauberers an den sieben Saiten.

Der Linzer tauchte in der List-Halle in den heuer obligaten einstündigen Tripel-Konzerten mit seinem Armonico Tributo Consort ein in „La Nuit“, the night, die Nacht. Zunächst mit einem Schlaflied von John Dowland, dem Großmeister des Seufzens – und da wurde es dann doch „savallisch“, denn Arianna, die Tochter Jordis, hatte die Gesangsparts übernommen.

Mit kleinem, aber silbrigem Sopran führte die 37-Jährige bei Purcell, Charpentier & Co meist durch melancholische Nachtstunden, fand bei Andreas Hammerschmidts „Kunst des Küssens“ aber auch zu augenzwinkerndem Humor und gerade bei Canciones aus ihrer Heimat zu besonderer Innigkeit. Duftschmid und sein Quintett legten der Sängerin einen weichen Klangteppich zu Füßen, Michael Dangl webte sehnsüchtige bis kecke Texte von Shakespeare, Michelangelo und Pierre de Ronsard dazwischen.

"Hammerklaviersonate" in der Grazer List-Halle, 14. Juli

von Martin Gasser

Pierre-Laurent Aimard bei seinem Beethoven-Messiaen-Konzert in der List-Halle
Pierre-Laurent Aimard bei seinem Beethoven-Messiaen-Konzert in der List-Halle © Matthias Wagner/styriarte

Wenn der Pianist Pierre-Laurent Aimard den Nachtgesang von Olivier Messiaens „Waldkauz“ in die eröffnenden Akkorde von Beethovens „Hammerklaviersonate“ übergehen lässt, lösen sich innerhalb weniger Takte 150 Jahre Abstand in Luft auf. Der französische Musiker spielt ja alles so, als wäre es gerade frisch komponiert worden. Bei Beethovens kapitalem op. 106 macht er keine Ausnahme: impulsive Lyrik und endlose Gesänge in einer völlig zeitgenössischen Tonsprache. Aimard bewegt sich in der List-Halle kilometerweit weg von den Wiener Beethoven-Tradition und landet mit seinem phänomenalen Parforceritt durch die Partitur doch punktgenau beim Komponisten.

In der List-Halle hatte er Beethoven zwei der bezaubernden Geschöpfe aus dem „Vogelkatalog“ Messiaens vorangestellt (neben erwähntem „Waldkauz“ die „Heidelerche“), wobei sich Aimard erneut als Klangmagier erwies, der dieser Musik Farbe und Dichte wie kaum ein anderer zu verleihen vermag.

"Träumerei" in der Grazer List-Halle, 13. Juli

von Martin Gasser

Einen Schritt weiter als John Dowland ging Franz Schubert 200 Jahre später: Sein Klaviertrio in Es-Dur ist ein anrührend schön formulierter Schmerzensschrei, eine nachtschwarze Erkundungsfahrt mitten hinein in seelische Abgründe. Markus Schirmer (Klavier), Esther Hoppe (Geige) und Christian Poltéra (Cello) wurden in der List-Halle dem romantischen Ungetüm unter anderem mit expressiven Gebärden gerecht: Immer wieder mutierten elegant perlende Läufe zu romantischen Ausdrucksgesten. Gleichzeitig mieden die drei Musiker allzu Wienerisch-Sentimentales. Der oberflächliche Humor des Scherzos, der Geisterreigen des Finales und schon die unfassbare Traurigkeit des Kopfsatzes kamen kraftvoll zur Geltung, aber nicht zum Strahlen und Irrlichtern, dafür war der Gesamtklang doch zu wenig ausbalanciert.

Dass Romantik und Sentimentalität völlig verschiedene Dinge sind, zeigte Markus Schirmer schon beim Vorspiel zum Trio, bei zwei „Kinderszenen“ Schumanns und Schuberts Ungarischer Melodie in h-Moll. Voller Ernst, ohne Parfüm.

"In Finstan möcht' I sein" auf der Schloßbergbühne Graz, 13. Juli

von Elisabeth Willgruber-Spitz

Agnes Palmisano "verwienert" John Dowland
Agnes Palmisano "verwienert" John Dowland © Nikola Milatovic/styriarte

Dass ihr „diese Musik aus der Seele spricht“, spürt man bei jeder Strophe der famosen Sängerin, die selbst tiefster Verzweiflung brillante Größe verleiht. Da Agnes Palmisanos Seele aber nicht Shakespeares Englisch spricht, hat sie John Dowlands (1563–1626) elisabethanischen Melancholie-Schatz ins Wienerische übertragen. Die mit Schrammen, Schmerzen, Sehnsucht und Liebe übersäten Lieder des von der Königin einst verschmähten Lautenisten treffen bei Gamben, Gitarre und genialem Schrammel-Ausflug gut 400 Jahre später auf die Wiener Schwester im Gemüt.

Mit dem Armonico Tributo Consort unter Lorenz Duftschmid und dem Palmisano Quartett mit „Teufelsgeiger“ Aliosha Biz schraubte sich die Premiere von „In Finstan möcht’ i sein“ bei der styriarte auf der Grazer Schloßbergbühne vom emotional-musikalischen Kellertief zum Hochtraurigen, das in schillerndem Klang „glücklich macht“. Dass sich Vermissen und Alleinsein von damals mit dem Zustand heute so bewegend verschränken, brachte sogar die Turmglocke beim begeisterten Schlussapplaus zum Schlagen.

"Divertimenti" in der Grazer List-Halle, 12. Juli

von Walther Neumann

Das Ensemble vienna clarinet connection ist längst zur Marke geworden. Primus inter Pares Helmut Hödl und seine Mitklarinettisten Rupert Frankhauser, Hubert Salmhofer und Wolfgang Kornberger können heuer auf ein Vierteljahrhundert klingende Gemeinschaft zurückblicken.
Einheitlich, ausgeglichen und butterweich musizieren in dem Ensemble üblicherweise zwei Klarinetten, ein Bassetthorn (eine Art Tenorklarinette) sowie eine Bassklarinette. Bei der sonntäglichen styriarte-Matinee in der bestens besuchten Helmut-List-Halle in Graz faszinierte vorerst aber einmal ein Bassetthorntrio mit fünf Sätzen aus Mozarts Divertimento Nr. 4, dessen 25 (!) Teile aus dem Besitz des Klarinettisten Anton Stadlers nach viel Hin und Her erst zwölf Jahre nach Mozarts Tod veröffentlicht wurden.

styriarte-Intendant Mathis Huber vergab für das Konzert zwei Kompositionsaufträge mit Mozart-Bezug, welcher bei den vier fein austarierten Sätzen von Helmut Hödl unüberhörbar war. Das Stück von Margareta Ferek-Petric, untermalt von rhythmischem Stampfen und gemeinsam ausgestoßenen Lauten der Musiker, erschloss sich im Gegensatz dazu minder.

"Pastorale.SOAP" in der Grazer List-Halle, 10. und 11. Juli

von Michael Tschida

Hacklerregelung für Andrés Orozco-Estrada! Der 42-Jährige, der im Herbst das Chefpult bei den Wiener Symphonikern von Philippe Jordan übernimmt, stemmt bei der styriarte gleich zwölf Konzerte. Jeweils drei Mal direkt hintereinander führte er vorgestern und gestern in der List-Halle durch die „Pastorale.Soap“, am Freitag und Samstag folgt coronabedingt derselbe Aufwand bei „Don Giovanni in Nöten“.

Der seit 1997 in Wien lebende Kolumbianer ist ein begnadeter Motivationskünstler – für die Musiker wie für das Publikum. Das zeigte der Feuerkopf einmal mehr bei Beethovens 6. Symphonie, in der die Zuhörer den 3. Satz beim „Lustigen Zusammensein der Landleute“ durch Stampfen, Pfeifen und Jauchzen bis zur Kirchtagsstimmung mit aufheizen durften. „Als Art Befreiungstherapie, denn nur zehn Minuten Musik – und man ist ganz woanders“, wie der Dirigent als charmanter Conférencier sagte; ihm waren nach dem langen Lockdown Lust und Laune am Auftritt ebenso anzumerken wie dem styriarte Festspiel-Orchester.

Das bot in kleinstmöglicher Besetzung mit 40 Leuten und in breitestmöglicher Aufsetzung einen faszinierend transparenten Klang, sodass man in dieser sommerfrischen „Erinnerung an das Landleben“, wie Ludwig van Beethoven sein Werk von 1808 sehen wollte, jede Stimme wie im Fächer der Spektralfarben mitverfolgen konnte. Den sonst so pastosen Duktus der Beethoven-Symphonie tauschten der Maestro und die Instrumentalisten zugunsten einer luftig federnden Interpretation.
Bach und Fluss, Blitz und Donner, Jäger und Bauern, Kuckuck und Nachtigall ...: Auch wenn sich Jahresregent Beethoven gegen das Etikett „Programmmusik“ oder „Tonmalerei“ sträubte, die „Pastorale“ geriet ihm doch zu einem herrlichen „Universum für die Ohren“, das Orozco-Estrada und die Seinen leidenschaftlich durchmaßen.

"Una notte veneziana" in der Grazer List-Halle, 8. und 9. Juli

von Katharina Hogrefe

Schon die Überfahrt von Graz nach Venedig wurde als Vorspiel im Foyer der List-Halle mit Johann Strauß heiter untermalt, und zu den betörenden Klängen von Offenbachs Barcarole legte man den Anker in der Lagunenstadt.

Durch das folgende Programm führte kein Geringerer als Casanova. Die vielseitige Chris Pichler mimte den homme fatal mit lustvoller Nonchalance und schilderte in einer Lesung aus den Memoiren so manche freudenreiche „notte veneziana“. Die Palais Attems.Hofkapelle unter Michael Hell präsentierte Werke des wohl zweitberühmtesten Venezianers: Antonio Vivaldi. In so manchem kraftvollen Vorandrängen wurden dabei plastisch, wenn auch nicht immer ganz im Einklang, „La follia“ und „La notte“ musikalisch geschildert.

Den letzten Akt bildete eine Reminiszenz an die Primadonna Adriana Ferrarese. Die wandelbare Tetiana Miyus bewies ein weiteres Mal den strahlenden Wohlklang ihres Soprans, etwa im Abschiedsbrief aus Bertonis Oratorium „Balthasar“. Eva Maria Pollerus begleitete sie mit Feinschliff am Hammerklavier und hauchte dem Fragment von Mozarts Fantasie in c-Moll einen faszinierend modern anmutenden Geist ein.

"Es wird Nacht, Senorita", in der Grazer List-Halle, 6. und 7. Juli

von Elisabeth Willgruber-Spitz

Eddie Luis: Schlager für Fortgeschrittene
Eddie Luis: Schlager für Fortgeschrittene © Matthias Wagner/styriarte

In Zeiten wie diesen feiern die Erinnerungen an damals, als alles noch besser schien, fröhliche Urständ’. Ein Paukenschlag in schwüle Stille für Eddie Luis und „Die Gnadenlosen“, wenn sie in der luftig besetzten List-Halle mit Schmelz, Schmalz und Schmäh in „eine Nacht voller Seligkeit“ entführen.

Mit dem (Elvis-Ohrwurm) „Bist du einsam heut’ Nacht?“ von 1926 beginnt die „Nachtwanderung in den Schlager“, wird vom grandiosen Milos Milojevic zur Whisky-Bar im „Alabama Song“ geleitet – famos auch seine an Bill Ramsey erinnernde Krimi-Mimi –, grüßt mit „Bella, bella, Marie“ die „Capri-Fischer“ und landet nach jazzigem Ausflug zu Cole Porters „Night and Day“ sowie dem schwungvollen „Nachtgespenst“ beim unvergessenen Udo Jürgens.

Nach „Summertime in Graz“ bescheren die Publikumsmagneten mit „Es wird Nacht, Senorita“ den styriarte-Fans heuer einschließlich Zugabe 13 Songs. Neben nettem Operetten-Vorspiel im Foyer eine kurze, angenehme „Seelenmassage“.

"Mondnacht" auf Schloss Eggenberg, 4. und 5. Juli

von Eva Schulz

Irina Karamarkovic und Denovaire bei der "Mondnacht"
Irina Karamarkovic und Denovaire bei der "Mondnacht" © Nikola Milatovic/styriarte

Eine stimmungsvolle Verbindung von Kunst und Natur bot die styriarte mit ihrem Programm „Mondnacht“ im Park des Grazer Schlosses Eggenberg. Den entzückenden Auftakt gestaltete Flötistin Maria Beatrice Cantelli virtuos mit Couperins „Verliebter Nachtigall“, mit einer Bearbeitung von Vivaldis „Frühling“ und Honeggers putzigem „Ziegentanz“.

Die zweite Station versetzte die Hörer ganz in die Schubert’sche Zeit. Ein Ensemble des chor pro musica graz (Leitung: Gerd Kenda) gestaltete stilsicher und innig einige seiner Männerchöre. Mut für Experimentelles bewies die styriarte mit „The Moon Is a Harsh Mistress“, einer Uraufführung von Denovaire (an der indischen Esraj) mit Sängerin Irina Karamarkovic. Mit Leidenschaft, Esprit und dem Programm „Erlkönig trifft Astor Piazzolla“ trotzte das Trio Folksmilch dem Pfauengeschrei am besten. Letztes und keineswegs einziges Highlight war: Johannes Chum singt Schumann und Schubert. Zu Herzen gehend!

"Romantische Nacht" und "In iij. Noct." in der Grazer List-Halle, 3. Juli

von Martin Gasser

Wer glaubt, eine romantische Nacht bestehe aus lauen Temperaturen, milchigem Mondlicht und ein wenig Zweisamkeit, der wird von Meisterdichter E. T. A. Hoffmann eines Besseren belehrt. Die Schauerlichkeiten der Nacht hat der Oberromantiker immer wieder beschrieben, so auch in den Erzählungen, die Peter Simonischek in der List-Halle vortrug. Dass Hoffmann nicht nur begnadeter Schriftsteller, sondern auch ein begabter Komponist gewesen ist, weiß man aus Lexika und dem Netz. Diesmal durfte man es auch hören: Das Pacific Quartet Vienna und Harfenist Christoph Bielefeld umrahmten Hoffmanns Erzählungen mit dessen Quintett in c-Moll, das vor allem im Adagio herrliche Musik parat hält.

Wer bis spätabends in der List-Halle blieb, durfte Ohrenzeuge einer der großen Séancen und Exerzitien der Neuen Musik werden. Georg Friedrich Haas’ 3. Streichquartett „In iij. Noct.“ von 2001, das in absoluter Dunkelheit aufgeführt werden soll. Eine Anforderung, die man in der List-Halle (anders als letztes Jahr im Klagenfurter Stadttheater bei der grandiosen Dunkeloper „KOMA“) leider nicht ganz erfüllen konnte – die fluoreszierenden Bodenmarkierungen ließen den Augen ein wenig Futter und dem Wahrnehmungsapparat ein wenig Halt. Doch die Idee von Haas’ Nachtmusik wurde auch so deutlich: Eine Interaktion zwischen vier Musikern, die ganz auf dem einander Zuhören beruht, auf musikalischen Einladungen und Reaktionen, ein einmal stockendes, einmal angeregtes Gespräch in Obertönen, reinen Intervallen und Glissandi, inspiriert von einem anderen großen Nacht-Komponisten, Carlo Gesualdo, und ebenso von erschreckender Schönheit.