Im "Idomeneo", seiner wohl dramatischsten und kühnsten Oper, schildert der 24-jährige Wolfgang Amadeus Mozart die Odyssee durch ein aufgewühltes Gefühlsmeer: Kretas König Idomeneo, dessen Flotte nach dem Triumph über Troja auf der Heimfahrt im Sturm unterzugehen droht, fleht Neptun um Rettung an. Dafür wolle er den ersten Mensch opfern, dem er an Land begegnet. Es wird sein Sohn Idamante sein, und mit dem Eid bohrt sich der Schmerz in die Herzen aller: In das des Vaters, des Sohnes, des Volkes, der gefangenen trojanischen Prinzessin Ilia, die für Idamante entflammt und damit die Eifersucht von Agamemnons ebenfalls hoffnungsfroher Tochter Elettra schürt. Wer keine Wahl hat, hat die Qual. Mit den zwei Liebenden aus feindlichen Lagern beginnt eine fatale Spirale von echten und falschen Schwüren, gebrochenen Versprechen und gesprochenen Verbrechen, bis Meeresgott Neptun am Ende ein versöhnliches Machtwort spricht...

Ying Fang (Ilia), Paula Murrihy (Idamante) und Nicole Chevalier (Elettra)
Ying Fang (Ilia), Paula Murrihy (Idamante) und Nicole Chevalier (Elettra) © APA/BARBARA GINDL

Der "Idomeneo" war bei den Salzburger Festspielen zuletzt im Jahr 2000 und natürlich im Jubiläumsjahr 2006 im Rahmen der Präsentation aller Mozart-Opern aufgeführt worden. Nun nahmen sich Teodor Currentzis und Peter Sellars des Dreiakters von 1781 an. Das kongeniale Duo hatte schon vor zwei Jahren mit ähnlichem Kernteam „La clemenza di Tito“ in Salzburg präsentiert und dessen spirituellen Gehalt vertieft. Nun deutet der amerikanische Regisseur die Tragédie lyrique mit jenem Impetus, der auch im Zentrum seiner samstägigen flammenden Eröffnungsrede stand: Es ging darin um Umweltkatastrophen und um den "unwissenden Menschen, der sich in destruktiven, für ihn selbst und für sein Umfeld verheerenden Taten ergeht, verstrickt sich in einem fatalen Gewirr aus Selbstgerechtigkeit, kurzsichtigem Denken und Realitätsverweigerung. Die Götter sprechen zu den Menschen - diese sind unfähig zu sehen und zu hören".

Also erzählt der 61-jährige Sellars auch von Asylanten, vom verschmutzten Meer und den Abertausenden Flüchtlingen, die darin sterben. Vom Generationenkonflikt. Szenisch auf Sparflamme allerdings, nur begleitend zur eigentlichen Geschichte und wenig schlüssig, aber in imposanten Bildern. Zu diesen verhilft ihm wie schon im "Titus" Georg Tsypin, der nun eine ähnliche Bühnenästhetik schafft: mit auf- und niederfahrenden beleuchteten Stelen, wie den Salzburger Straßenpollern abgeschaut.

Plastikmüll, die modernen Meeresmedusen der Abfallgesellschaft, setzt im Bühnenbild von "Idomeneo" ein Zeichen
Plastikmüll, die modernen Meeresmedusen der Abfallgesellschaft, setzt im Bühnenbild von "Idomeneo" ein Zeichen © APA/BARBARA GINDL

Und mit riesigen durchsichtigen Plastiken – Amphoren, Dosen, Flaschen, Präservative, die wie beängstigende Medusen der Wegwerfgesellschaft quallig im Meer schwimmen und in den Schnürboden gezogen werden, dass man sich als Zuschauer in der Felsenreitschule wie ein Taucher in einer Meerkloake wähnt.

Sellars inszeniert wunderbar in und mit der Musik, beim theatralischen Getue seiner Protagonisten überspannt er aber oft den Bogen. Weniger wäre mehr. Aus dem Ensemble ragt Nicole Chevalier als Elettra heraus, die als (ver-)zweifelnd Liebende in ihrer Furienarie sängerisch wie darstellerisch die Szene des Abends hat., die als (ver-)zweifelnd Liebende in ihrer furiosen Arie ("Oh Aufruhr! Oh Zorn") stimmlich wie darstellerisch die Szene des Abends hat. Russell Thomas klingt als Idomeneo überzeugend, zwischendurch aber etwas angestrengt. Ying Fang führt als Ilia einen blitzsauberen, jedoch etwas kleinen Sopran. Paula Murrihy fällt in der Hosenrolle des Idamante sängerisch doch ab und übertreibt auch gestisch. Die restlichen Rollen sind bestens besetzt, musicaAeterna aus Perm brilliert stimmlich und als Bewegungschor.

Jonathan Lemalu (Nettuno/La voce) und Russell Thomas (Idomeneo)
Jonathan Lemalu (Nettuno/La voce) und Russell Thomas (Idomeneo) © APA/BARBARA GINDL

Ihr Chef Teodor Currentzis (47) hat diesmal nicht sein langjähriges Instrumentalensemble aus Perm mitgebracht, sondern das Freiburger Barockorchester, dem er seine eigenwilligen Deutungsansätze anfangs erst ab(w)ringen muss. Und er, der sonst Ecken und Kanten betont, setzt zunächst überraschend stark auf einen runden Mozart-Klang. Aber mit Fortdauer der dreieinhalb Stunden wird es durch den griechisch-russischen Dirigenten, der am Vortag eine unter die Haut gehende "Leningrader Symphonie" von Dmitri Schostakowitsch geleitet hatte, im Graben immer aufregender. Und ein zwischengeschobenes Solo- und Chorstück aus Mozarts "Thamos" sowie ein bezauberndes Finale zum prachtvollen Ballett KV 367 mit zwei Tänzern aus Hawaii und Kiribati, mit einem traditionellen Tanz aus Samoa (vom steigenden Meeresspiegel besonderes bedrohten Inseln), rundeten den Abend, der den Tiefgang des „Titus“ 2017 aber nicht erreicht.