Eigentlich wäre Nicola Porpora, Zeitgenosse Händels, das passendere Aushängeschild für das heurige Motto der Salzburger Pfingstfestspiele, "Himmlische Stimmen". Aber auch an der Salzach geht es dem Neapolitaner wie stets in der Musikgeschichte: Die große Festpremiere am Freitag kam vom Deutschen, während Porpora mit "Polifemo" am Samstag in der Felseneitschule Tag 2 des Barockreigens blieb. Es verwundert nicht.

Die Story ist letztlich ein Best-of der Mythologie und verschränkt verschiedene Stränge wie jenen der unglücklich Liebenden Acis und Galatea aus Ovids Metamorphosen, Homers Odysseus im Kampf gegen den Zyklopen und schließlich noch die Meeresnymphe Calypso. Nicht gerade Shakespeare, was Porpora hier zusammengestellt hat - und letztlich nicht viel mehr als ein loser Rahmen für die Arien. Porporas Opern sind ein mitreißender Strom an Nummern, der dramaturgische Fluss fehlt indes.

Der Italiener war als Gesangslehrer der großen Kastraten eben ein Komponist der Sänger, der sich vier Jahre mit Händels Opernkompanie in London einen der produktivsten Wettstreite der Kulturgeschichte lieferte, an dessen Ende eine ganze Latte wundervoller Werke stand - und der Ruin beider Häuser. So wurde auch der "Polifemo" als Gegenstück nur zehn Wochen vor der am Freitag umjubelten "Alcina" Händels uraufgeführt.

Die herausforderndste Partie des Werks, den Aci, hatte in der einmaligen Aufführung Yuriy Mynenko zu bewältigen - wurde die Rolle von Porpora doch dem damals frisch in London gelandeten, noch heute sagenumwobenen Farinelli in die Kehle geschrieben, damit sich dieser dem Publikum mit all seiner technischen Finesse vorstellen konnte. Da folgt nach einem dreieinhalbstündigen Abend mit Prachtarien wie dem "Alto Giove" kurz vor dem Ende noch ein halsbrecherisches Bravourstück wie "Senti il fato". Als wenn ein Marathonläufer vor dem Ziel nochmals zum 100-Meter-Sprint ansetzen muss. Der 40-jährige Ukrainer hat sich aber sein in den Knabensopran spielendes Timbre bewahrt und zeigt technisch keine Schwäche in diesem Parforceritt.

Der russische Bass Pavel Kudinov indes stellt in der Titelpartie unter Beweis, dass sich auch im tiefen Stimmfach Koloraturen bewältigen lassen. Man huldigte also nicht nur den "himmlischen Stimmen", sondern auch den geerdeten. Gleichsam am anderen Ende des Spektrums menschlicher Klänge steht Julia Lezhneva mit ihrem Zwitschersopran, die Jungmädchenfreud und -leid einen berührend schwerelosen Ausdruck zu verleihen versteht. In den wilden Bravourarien fehlt hie und da vielleicht im Gegenzug der letzte Nachdruck.

Und dann ist da natürlich noch Publikumsliebling Max Emanuel Cencic als Impresario der Truppe an Stammspielern, der den Ulisse mit seiner mittlerweile deutlich dunkleren Färbung übernimmt. Ein Stimmkünstler in Farinelli-Tradition ist er nicht, sondern eher ein Allrounder, der das mit Abstand freudigste Spiel in der Tradition eines Jack Sparrow an den Tag legt - und auch für die Einrichtung der halbszenischen Aufführung verantwortlich zeichnet. Ein paar Felsen und Sand, ein paar Gerippe und ein spielfreudiges Ensemble - in so manchem renommierten Repertoirehaus würde das schon als vollwertige Inszenierung durchgehen.

Zur Abrundung des Gesamtpakets spielt die Armonia Atenea unter George Petrou - wie die meisten Beteiligten Stammpartner von Cencic - elegant, stets bemüht, den Sängern den Vortritt zu lassen und dementsprechend moderat aggressiv. Porpora, der alte Stimmfetischist, wäre wohl stolz gewesen.