Ihren Planern brachte die Staatsoper kein Glück. Die Wiener und ihre Presse verabscheuten den Monumentalbau, der nach 1861 an der Ringstraße entstand. Selbst der Kaiser sparte nicht mit Kritik. Das Gebäude im Stil der Neo-Renaissance wurde als „Kiste“ und „Königgrätz der Baukunst“ tituliert. Die beiden Architekten kosteten diese Schmähungen wohl ihr Leben. Der depressive Eduard van der Nüll erhängte sich noch vor der Eröffnung der Oper, sein Kollege August Sicard von Sicardsburg erlag kurz danach einer Tuberkulose. Kaiser Franz Joseph war vom Selbstmord Nülls so schockiert, dass er neue Kunst fortan nur mehr mit „es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ kommentierte. So weit die Legende, die das tragische Ende der beiden Erbauer umrankt.

Kaiser Franz Joseph I. von Österreich bei der Eröffnung der Wiener Hofoper 1869
Kaiser Franz Joseph I. von Österreich bei der Eröffnung der Wiener Hofoper 1869 © APA/AUSTRIAN ARCHIVES/IMAGNO

Die Mehrheit der Tragödien fand nach dem 25. Mai 1869 zum Glück auf der Bühne statt. Mit der Höllenfahrt des „Don Juan“ (also Mozarts „Don Giovanni“, auf Deutsch gesungen) eröffnete die k. k. Hofoper, die bald zum Herzstück der theater- und musikvernarrten österreichischen Kulturwelt wurde. Direktoren wie Gustav Mahler hoben das Niveau auf Weltrang. Von Saison zu Saison entstand sukzessive der Mythos Staatsoper.

Ein Opernhaus, das Österreich auch noch nach 1918 Bedeutung garantierte, als es politisch zum Zwerg geschrumpft war und Wien nicht mehr das europäische Kulturzentrum vergangener Jahre war. 1945, in der Endphase des Weltkriegs, ging das Gebäude in Flammen auf, seine Wiedereröffnung im November 1955 (mit Beethovens „Fidelio“) zählt zu den Meilensteinen des geistigen Wiederaufbaus Österreichs.

Sie ist ein sonderbar Ding voller Eigenheiten geblieben. Sie ist die einzige Oper weltweit, die noch einen Repertoirebetrieb aufrechterhält. Etwa 50 verschiedene Opern und 15 Ballette werden pro Saison gezeigt. Diese Bandbreite verlangt einen täglichen Kraftakt. Im Graben sitzt das vermutlich beste Opernorchester der Welt, der Stehplatz hat die leidenschaftlichsten und treuesten Opernfans, die man sich vorstellen kann. An guten Tagen vibriert das Haus vor Spannung. Hier standen fast alle auf der Bühne. Stars, deren Ruhm bis heute nachwirkt, und verblasste Größen: von Enrico Caruso, Maria Jeritza, Fritz Schrödter, Leo Slezak, Lauritz Melchior, Selma Kurz, Maria Callas, Cesare Siepi, Hans Hotter, Martha Mödl, Piero Cappuccilli, Nicolai Ghiaurov, Luciano Pavarotti bis hin zu den Kaufmanns und Netrebkos, die den Starbetrieb heute am Laufen halten.

Maria Callas ist nur an drei Abenden aufgetreten
Maria Callas ist nur an drei Abenden aufgetreten © AP (ARMANDO TROVATI)

Für sein Mozartensemble der Nachkriegszeit ist das Haus ebenso legendär wie für seine Intrigen und Skandale. Mehr als nur ein Theaterkrach war das Match, das der „Generalmusikdirektor Europas“ Herbert von Karajan sich mit Presse und Betrieb lieferte und das in einem Streik gipfelte. Direktor Karajan hatte den Betrieb in den Sechzigern modernisiert und verließ Wien eher entnervt. Einer seiner Nachfolger, Lorin Maazel, brachte die Arbeitssituation auf den Punkt: „Diese Stadt ist tödlich.“ Wer sich mit den Verhältnissen und Traditionen anlegt, riskiert viel. Selbst Dirigent Karl Böhm brauchte einst Polizeischutz, nachdem er sich despektierlich über die Oper geäußert hatte.

Herbert von Karajan
Herbert von Karajan © APA/dpa

Schwierige Rahmenbedingungen, die in den späten Jahren der Intendanz Ioan Holenders einen Abwärtstrend entstehen ließen, der sich ab 2010 unter Dominique Meyer noch verstärkte. Meyer begann mit guten Ideen. So holte er die Barockoper zurück ins Haus. Aber der Elan verflüchtigte sich. Der Direktor hat kein gutes Händchen für Regisseure, kann kaum spektakuläre Rollendebüts von Stars vorweisen und ihm fehlt seit dem Abgang von Franz Welser-Möst ein Musikdirektor, der das Haus prägen könnte. Auch wenn das Ballett unter Meyer mehr Relevanz erhielt und er das Haus wirtschaftich souverän führte, ist das Programm künstlerisch relativ ambitionslos. Einer der Gründe, warum er 2016 nicht für eine dritte Amtszeit verpflichtet worden ist. Die Staatsoper wurde in den jüngeren Jahren allmählich links und rechts überholt. Die kleinere lokale Konkurrenz vom Theater an der Wien kreiert konstant die spannenderen Produktionen. Und an einem größenmäßig vergleichbaren Haus wie der Staatsoper München zeigt Nikolaus Bachler, wie man einem Kulturtanker Geltung und internationale Strahlkraft verschafft.

Zum Pech kam das selbst gemachte Unglück: Der Skandal um die hauseigene Ballettakademie wurde ausgerechnet vor dem Jubiläum öffentlich. Die Staatsoper braucht nicht nur eine penible Aufarbeitung des Skandals, sondern auch neue künstlerische Visionen. Dominique Meyer tritt 2020 ab, es folgt das Führungsduo Bogdan Roscic/Philippe Jordan. Kein leichtes Erbe für die beiden Macher, die die Staatsoper an die Spitze der ersten Liga zurückbefördern müssen.