Ein Grüppchen Verlorener in einer Bar. Was es zu erzählen gibt, ist jedem der Anwesenden seit langem wohlbekannt: Es sind alte, aber gute Geschichten von Männern, die sich in Schlangen verwandeln, von Knaben aus Lehm, es sind grandiose Anekdoten von Goldsuchern und Huren und Erinnerungen an die Königinmutter, die als eine Art gastronomische Matriarchin darauf geachtet hat, dass vor ihrer Theke jeder Platz und Auskommen findet. Damals, als Zukunft noch möglich schien, im Gegensatz zu jetzt, da Ausharren die beste und einzige Option scheint in der "New Jersey Bar", die keiner verlassen mag und in der jeder Neuankömmling stört.

"Zu der Zeit der Königinmutter" heißt das erste auf Deutsch verfasste Stück des Grazer Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila; Regisseur Philipp Hauß hat es in einer bejubelten Inszenierung am Samstag im Wiener Akademietheater zur Uraufführung gebracht. Der aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Autor, der bisher auf Französisch schrieb und mit "Tram 83" einen der aufregendsten Romane der letzen Jahre vorlegte, hat den Stücktext ohne linearen Verlauf angelegt.

Fiston Mwanza Mujila schrieb sein erstes Stück auf Deutsch
Fiston Mwanza Mujila schrieb sein erstes Stück auf Deutsch © Privat

Hauß lässt diesen atmosphärisch wirken, ohne großes Brimborium. Dazu genügt ihm eine mit knallbunten Gardinen vollgehängte Bühne (Katrin Brack) und eine Handvoll Schauspieler, die einen großteils monologisch angelegten Text unter Spannung setzen können. Das geht mit Sven Dolinski, Markus Hering, Simon Jensen, Gertraud Jesserer und Mirco Kreibich, sie tragen den wortgewaltigen, vielstimmigen Text mit Bravour, schaffen Spannungsbögen weit abseits dramatischer Handlung.

Am Rande der Menschlichkeit Gestrandeten

Die Identitäten der Figuren auf der Bühne sind uneindeutig; sie könnten Europäer, Afrikaner, Amerikaner, Asiaten, Frauen, Männer sein. Gemeinsam ist ihnen: Erst als Geschichtenerzähler werden Menschen aus ihnen. Einer nach dem anderen tritt zum Monolog an die Rampe, ein Musikertrio um den Saxophonisten Patrick Dunst unterlegt die Schicksalsberichte der hier am Rande der Menschlichkeit Gestrandeten mit ominösem Trauerrock.

Märchenelemente, lyrische Passagen, Kolportagefetzen fügen sich zu einem flirrenden Mosaik der menschlichen Unbehaustheit. Wer hier, in dieser Bar, Zuflucht gefunden hat, ist vielleicht nicht der Welt, aber auf jeden Fall der Zukunft abhanden gekommen. Dass die Vergangenheit ein Gefängnis sein kann, klingt in "Zu der Zeit der Königinmutter" mehrmals an. Ob die Gegenwart das einzige verlässliche Zuhause ist, bleibt offen. Nach knappen 90 Minuten langer Applaus für Autor, Regie und Ensemble.