Die altehrwürdige Hotellegende auf dem Lido ist wieder geöffnet – für kurze Zeit zumindest. Nachdem das „Grand Hotel des Bains“, das Thomas Mann einst in „Der Tod in Venedig“ verewigte, jahrelang geschlossen war, sind nun wieder die großen Festivalstars in der Lobby zu sehen. Als Hotelgast kann man sich allerdings nicht einmieten, denn mehr als der Eingangsbereich und die Terrasse sind nicht geöffnet. Und auch die Berühmtheiten kann man nur auf Fotos sehen – in einer Ausstellung, um 75 Jahre Filmfestspiele und das über Jahrzehnte damit eng verbundene Hotel zu feiern. Dabei streift man von Jahr zu Jahr, durch viel glamouröse Festivalgeschichte und Filmgeschichte, bis man letztlich bei den Preisträgern von 2017 landet. Wessen Fotos in dieser Reihe für 2018 aufzuhängen wären, das entscheidet sich bei der Preisverleihung im Sala Grande am heutigen Samstagabend (8. September)

Einen eindeutigen Favoriten gab es unter all den großen Namen und wenigen Newcomern allerdings nicht. Überraschend war auf jeden Fall, wie selten die Beiträge dieses Jahrgangs die Auseinandersetzung mit den dringlichen Problemen der Gegenwart suchten. „What You Gonna Do When The World's On Fire“ war in dieser Hinsicht eine Ausnahme - und die einzige Doku in der Konkurrenz. In starkem, kontrastreichem Schwarzweiß greift Regisseur Roberto Minervini darin das Leben und Alltag von Afroamerikanern in New Orleans auf. Zu oft allerdings wirkt der Film wie eine Momentaufnahme, deren Themen wie Rassismus und Polizeigewalt kaum tief genug ergründet werden.

Die Chancen, dass ein historischer Stoff unter den Preisträgern sein wird, ist hoch. Neben „The Nightingale“ wimmelte es im überwiegend starken Wettbewerb vor Rückgriffen auf die Geschichte und Fluchten in die Vergangenheit: von Julian Schnabels kunstvollem Van-Gogh-Bio-Pic „At Eternity's Gate“ bis zu Florian Henckel von Donnersmarcks ausuferndem Künstlerdrama „Werk ohne Autor“, das zwar von der Kritik eher zurückhaltend aufgenommen wurde, aber zu den diesjährigen Publikumsfavoriten zählt.

Ein Highlight wie „Roma“, Alfoso Cuarons schöne Schwarzweiß-Hommage an sein Kindermädchen im Mexiko der 70er Jahre, könnte der Jury womöglich nicht dringlich genug für einen Löwen sein. Und der Western „The Sisters Brothers“ von Jacques Audiard („Dämonen und Wunder“) wahrscheinlich zu sehr Genre. Viele allerdings begeisterte er nicht nur mit einer ganz eigenen Herangehensweise aus Gewalt, ironischer Komik und aufrichtiger Emotion, sondern auch mit einem sehr preisverdächtigen John C. Reilly in einer der Hauptrollen.

Ein anderer und polarisierender Genreabstecher kam von „Call Me By Your Name“-Regisseur Luca Guidagnino. Der Italiener drehte mit dem bildstarken Kunst-Horror-Thriller „Suspiria“ ein sehr eigenwilliges Remake von Dario Argentos gleichnamigem Klassiker, um Bedeutungsebenen und Geheimnisse aufgepumpt, aber zu selten richtig effektiv in seinen Schreckensmomenten.

Vielleicht schnappt sich aber auch Yorgos Lanthimos den Löwen. Der Grieche verlegt in „The Favourite“ seinen entrückten Stil ebenfalls ins Genre des opulenten Kostümdramas. Das höchst unterhaltsame Liebes-Macht-Intrigenspiel im 18. Jahrhundert zwischen Queen Anne und zwei Frauen ist zugänglicher als seine vorherigen Werke wie „The Lobster“, aber voll mit garstig angespitzten Dialogen und mit einer so köstlichen wie tragischen Olivia Colman als Königin. Ob der Titel auch verdientermaßen zu den Filmvorlieben der Jury passt, wird sich dann heute Abend herausstellen.