1. Der Inhalt: Die Bibelgeschichte erzählt von Saul, Israels erstem König. Er sieht sich vom aufstrebenden Hirten David, der Goliath besiegt hat und dafür vom Volk gefeiert wird, in seiner Macht bedrängt. Voll Zorn wünscht er dem vitalen Kriegshelden, der gar nichts Böses im Schilde führt, den Tod und zieht auch seinen Sohn Jonathan und die Töchter Merab und Michal in einen Strudel aus Eifersucht und Rache.

2. Die Musik: Georg Friedrich Händel reagierte auf die wirtschaftliche Krise der italienischen Opera seria in London und wandte sich wieder vermehrt dem Oratorium zu. So bot auch sein „Saul“ (UA 1739) große Vorteile: Die Produktionskosten waren niedriger, die biblische Handlung war bekannt, weshalb in der Volkssprache gesungen wurde, die beim Publikum beliebten Chöre spielten eine große Rolle ...

3. Die Regie: Claus Guth sorgte 2009 im Theater an der Wien schon für einen packenden „Messiah“. Jetzt übertrifft sich der deutsche Regisseur noch selbst und liefert quasi eine eigene Komposition, die er dicht mit der dramatischen Musik Händels akkordiert. Wie der 53-jährige Frankfurter ganz selbstverständlich (sogar in Zeitlupe) den Rhythmus für die Figuren findet, wie er mithilfe des Choreografen Ramses Sigl den famosen Arnold Schoenberg Chor im antiken Sinn mit Tänzen zum Kommentator macht, wie er das psychologische Spiel durchgehend auf Messers Schneide balanciert, das macht ihm so schnell keiner nach. Zudem führt Guth beinahe nahtlos von archaischen Orten in die Kälte einer Nervenklinik für den schizophrenen Saul bis hin zu einer bourgeoisen Tischgesellschaft, als hätte ihm Claude Chabrol ein paar Ideen für Abgründiges ins Ohr geflüstert – Opéra noir.

4. Die Ausstattung: Die imposante Drehbühne von Christian Schmidt ist nie Selbstzweck, sondern treibendes Instrument der Szenen. Schmidts faszinierenden Kostüme passen zu alttestamentarischen Tableaus ebenso wie zu Guths doppelbödiger, auch erotischer Familienaufstellung im Heute.

5. Das Ensemble: Anna Prohaska gibt mit quickem Sopran eine hantige Merab, Giulia Semenzato überflügelt sie noch mit weichem Timbre als liebessehnsüchtige Michal, Andrew Staples führt als Jonathan einen feinen Tenor. Der junge Jake Arditti, Sohn des Gründers des berühmten Londoner Streichquartetts, besticht als David mit farbigem Counter. Auch der Rest des Ensembles – bis hin zum beigefügten stummen Dämon Paul Lorenger – überzeugt.

6. Der Thron: Der König im Stück ist auch der König auf der Bühne. Florian Boesch gebührt allein stimmlich der Thron. Der österreichische Bassbariton zieht alle Register für eine Figur, die zuerst das Glück und dann den Verstand verliert. Heimtücke, Furor, Verzweiflung am Ich: Für alles findet der 46-Jährige den packenden Ton. Aber auch darstellerisch gelingt ihm als Versehrtem des eigenen Stolzes eine ergreifende Charakterstudie. Hat das Burgtheater schon angerufen?

7. Im Graben: Laurence Cummings und das Freiburger Barockorchester – ein ideales Gespann. Ob bei der Ouvertüre, die in ihrer Melodienseligkeit das kommende Unglück kontrapunktiert, ob Süße mit Glockenspiel und Harfe, ob swingende Tutti-Passagen: Der Brite greift beherzt in Händels Schatzkiste und hält mit den auch in Soloparts erfrischenden Originalklangmeistern immer engen Kontakt zur Bühne.

8. Das Resümee: „Saul“ ist ein Gesamtkunstwerk par excellence, ein echtes Theaterereignis. Schon am kommenden Samstag (24. 2.) gehen die Händel-Festspiele in Wien weiter. Regisseur David McVicar wird sich bei der „Ariodante“ in der Staatsoper sehr anstrengen müssen; detto William Christie am Pult, denn auch sein ehemaliger Assistent Cummings legte die Latte enorm hoch.