Das 1959 am Broadway uraufgeführte Musical von Jule Styne (Musik), Arthur Laurents (Buch) und Steven Sondheim (Liedtexte) erzählt die wahre Geschichte der Autorin und Schauspielerin Rose Louise Hovick (1914-1970). Die junge Linzerin Lisa Habermann verkörpert in der Volksoper Louise, die nach der Emanzipation von ihrer Mutter als Burlesque-Tänzerin unter dem Namen Gypsy Rose Lee ein Star wird, ganz ausgezeichnet. Doch im Zentrum steht Maria Happel als Mama Rose. Mit darstellerischer Vielschichtigkeit und sängerischem Können zeichnet sie eine tragische Figur voll herbem Charme und unstillbarem Drang ins Scheinwerferlicht, zerrissen zwischen Egoismus und Familiensinn. Sie trägt den dreistündigen Abend fast alleine - eine große Leistung, auch angesichts einer Vielzahl von Solo-Songs und Duetten, bei denen man glatt vergisst, dass die Burgschauspielerin sonst im Sprech- und nicht im Musiktheater zu Hause ist.

Regisseur Werner Sobotka und sein Ausstatterteam Stephan Prattes (Bühne) und Elisabeth Gressel (Kostüme) tauchen lustvoll in eine untergegangene Welt des amerikanischen Unterhaltungstheaters ein. Schon während der schmissigen Ouvertüre (wie der Rest des Abends temposicher und effektvoll vom Volksopernorchester unter Lorenz C. Aichner musiziert) beschwören alte Filmaufnahmen die Atmosphäre der Vaudevilles und Varietés herauf.

Und schon sind wir mitten in "Onkel Jockos Kindercontest", bei dem die von ihrer Mutter angetriebenen Schwestern Baby June und Baby Louise (Livia Ernst und Katharina Kemp) das Publikum mit Piepsstimme beschwören: "Let me entertain you!" Im Lauf der Jahre des Tingelns mit einer Kindertruppe durch die Provinz werden aus den angesagten "1,07 Meter pure Energie" halbwüchsige "1,60 Meter pure Energie" - doch das größte Energiebündel bleibt stets die Mutter, die so beharrlich wie erfolglos aus den Töchtern Stars zu machen versucht.

"Meine Töchter sind mein Job!", versichert sie, und auf diesem Selbstverwirklichungstrip gehen ihr zunächst die erste Tochter June (Marianne Curn) und schließlich auch der sie ehrlich liebende Gefährte Herbie (Toni Slama zeigt viel Herz und einiges an Stimme) verloren. Als Louise künstlerisches Profil zulegt, indem sie ihre Oberbekleidung ebenso ablegt wie ihre enge Mutterbindung, ist Mama Rose ihren Job, ihre Berufung und ihren Lebenssinn los.

"Gypsy" ist erstklassige Familienunterhaltung mit einer einfachen, zutiefst menschlichen Geschichte, in der obendrein eine hübsche Hommage an die eigene Branche eingebaut ist. Dieses Musical, das bereits fast 60 Jahre Bühnenleben am Buckel hat, ist inhaltlich weit wertvoller als die meisten seiner Nachfolger und auch musikalisch nicht bloß eine schillernde, rasch zerplatzende Kaugummi-Blase wie vieles aus den späteren kommerziellen Musical-Manufakturen.

Der Volksoper ist eine handwerklich tadellose Produktion gelungen, und sie hat mit Maria Happel die denkbar beste Besetzung für die Hauptrolle aufgeboten. Einst beim Casting für die erste Hamburger "Cats"-Produktion gescheitert, feiert der Publikumsliebling nun ein spätes, fulminantes Musicaldebüt. Beharrlichkeit und Talent setzen sich durch. Auch ganz ohne mütterlichen Anschub.

(S E R V I C E - "Gypsy", Musical von Jule Styne, Liedtexte: Stephen Sondheim, Buch: Arthur Laurents, Deutsch von Henry Mason. Dirigent: Lorenz C. Aichner, Regie: Werner Sobotka, Choreografie: Danny Costello, Bühnenbild: Stephan Prattes, Kostüme: Elisabeth Gressel. Mit u.a.: Maria Happel - Rose, Toni Slama - Herbie, Marianne Curn - June, Lisa Habermann - Louise, Peter Lesiak - Tulsa, Oliver Liebl - Kansas, Christian Graf - Tessie Tura; Volksoper Wien, Nächste Vorstellungen: 12., 14., 17., 23., 25. und 28. September. Karten: 01 / 513 1 513, )