Aus einer Geschichte entsteht eine andere“. Das ist ein Schlüsselsatz für „Apeirogon“, Opus magnum des graniodsen irischen Erzählkünstlers Colum McCann. 1000 Geschichten enthält seine Welterforschung, etliche weitere ließen sich daraus formen. Es sind Assoziationsketten, sie ergeben ein ebenso präzises wie erschütterndes und berührendes Zustandsbild.
Ein Zentrum hat dieses virtuose literarische Wunderwerk, angesiedelt im Westjordanland. Es ist die Geschichte von Rami, einem Israeli, der seine Tochter bei einem Attentat verlor, und von Bassam, einem Palästinenser, dessen Tochter, knappe zehn Jahre alt, von einem israelischen Grenzsoldaten erschossen wurde. Aus Notwehr, wie es offiziell hieß. Aber die beiden Väter hegen keine Rachegedanken, sie versöhnen sich.

Geniale Gedankensprünge


Das Apeirogon ist eine geometische Figur mit einer unendlichen Menge an Seiten. Colum McCann nähert sich dieser Unendlichkeit durch verblüffende und fazinierende Gedankensprünge. Sie führen von John Cage hin zur Erfindung des Molotowcocktails, von Borges bei einem Jerusalembesuch ins KZ Theresienstadt. Colum McCann macht vertraut mit der (gefährlichen) Route der Zugvögel, die über Israel führt, auch dies ein Symbol für die rare Gabe, vieles in Schwebe zu halten und letztlich doch zu einem großen Ganzen zu fügen.
Mühelos überwindet McCann alle Grenzen des konventionellen Erzählens und liefert ein Kompendium an Weisheiten. Doch über allem schwebt der Traum vom Frieden im Nahen Osten und die Hoffnung, endlich miteinander zu reden und die Waffen schweigen zu lassen. Ein Meisterwerk von schier unfassbarer geistiger, emotionaler und humaner Größe.
Colum McCann. Apeirogon. Rowohlt, 600 Seiten, 25,70 Euro.