"Hit Bottom“. Am Boden aufschlagen. Man verwendet diesen Ausdruck gerne bei Suchtgiftpatienten. Es bedeutet, dass man oft die persönliche Talsohle erreicht haben muss, um von dort aus wieder den Aufstieg zurück ins Leben zu schaffen.

Möglicherweise kennt Ellie Goulding diese Formulierung. Bei den Brit Awards 2009 wurde sie zur vielversprechendsten Newcomerin gewählt, 2010 veröffentlichte sie ihr Debütalbum, legte einen kometenhaften Aufstieg in den Pophimmel hin und wäre dabei fast verglüht. Alkohol, Society-Sumpf, Angstzustände. Die Tür zum berühmt-berüchtigten „Club 27“ stand schon halb offen. Ihr vorletztes Album heißt bezeichnenderweise „Delirium“.

Doch dann zog die 34 Jahre alte Britin die Notbremse, unterzog sich einer Therapie, suchte sich bessere Freunde und ungefährliche Substanzen – und meldet sich jetzt mit dem großen Pop-Album „Brightest Blue“ zurück. Doch der Titel darf nicht täuschen.

Die schwärzesten Wolken haben sich zwar verzogen, doch strahlend blau ist der Himmel noch immer nicht. Die Platte ist zweigeteilt. Der erste Song-Zyklus läuft unter dem Titel „Vulnerable Side“ (Verletzliche Seite) und beinhaltet 13 Tracks; der zweite Teil steht unter dem Motto „Confident Side“ (Zuversichtliche Seite) und ist mit fünf Songs viel schmächtiger geraten. Die Verletzlichkeit überwiegt also noch, doch die Zuversicht holt auf.

Musikalisch ist Ellie Goulding ein wuchtiges, kräftiges, dick aufgetragenes Pop-Album auf der Höhe der Zeit gelungen, doch immer wieder sind die Songs – so vordergründig selbstbewusst sie auch daherkommen – dunkel grundiert. Die kräftige Stimme Gouldings klingt verhuscht und verzerrt, in den Texten geht es um Selbstanklage, Selbstfindung, Trennung und Bekämpfung ihrer Dämonen.

„Ich war ein Roboter, der immer funktionierte“, sagte Goulding unlängst in einem Interview. Mit diesem Überlebensalbum hat sie den Stecker gezogen. Geblieben ist eine starke Frau aus Fleisch und Blut, die nicht mehr durch Posh-Girl-Blabla aufhorchen lässt, sondern durch starke Aussagen im Zuge der „Black Lives Matter“-Debatte. Vielleicht gibt es ja auf ihrem nächsten Album einen Song, der „Hit Bottom“ heißt.