Hoch oben über dem Bergdorf lebt sie, die Familie von Josef und Maria Moosbrugger mit ihren vier Kindern. Nur selten erreicht ein Sonnenstrahl die primitive Bleibe, ohne Wasser und ohne Strom ist sie, errichtet auf dem billigsten, unfruchtbarsten Boden. Zwei Ziegen und eine Kuh besitzen sie, mehr nicht. Die harte Erde gibt wenig bis gar nichts an Brauchbarem her.

Unten im Dorf tragen die Moosbruggers den Beinamen „die Bagage“, das erst später zu einem üblen Schimpfwort wurde. Lange Zeit stand es für „das Aufgeladene“, weil der Vater und der Großvater von Josef Träger gewesen waren, die von Hof zu Hof zogen und um Arbeit fragten.

Eine Geschichte über „die Meinigen“ wollte die Vorarlberger Literatin Monika Helfer schreiben. Das Resultat ist ein zutiefst berührender, enorm soghafter und authentischer Roman über familiären Zusammenhalt in finstersten Zeiten.

„Die Bagage“ ist eine Spurensuche, die im September 1914 beginnt, also kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der wortkarge Josef erhält einen Einberufungsbefehl. Naiv wie viele andere auch, meint er, schon bald wieder daheim sein zu können. Dennoch bittet er den Bürgermeister, auf seine Frau aufzupassen. Ein Himmelfahrtskommando. Denn Maria gilt als größte Schönheit im gesamten Tal. Wenige Monate später ist sie erneut schwanger. Josef kehrte zwar einige Tage vom Krieg zurück, dennoch wird aus der ohnehin brodelnden Gerüchteküche über diverse Seitensprünge von Maria ein giftiger Hexenkessel. Der Pfarrer tobt und lässt sogar das Kruzifix am Hauseingang der „Bagage“ abmontieren.

Monika Helfer. Die Bagage. Hanser, 160 Seiten, 19 Euro.
Monika Helfer. Die Bagage. Hanser, 160 Seiten, 19 Euro. © KK

Dies ist nur eine Episode einer archaischen Chronik über das Dasein und das Sterben, das Lügen und den Überlebenswillen auf dem Lande, geschildert in einer Sprache, die schlichter, zeit- und erdnaher nicht sein könnte und in Denkweisen wie diese mündet: „Sie waren aus dem Boden gewachsene Männer, die eingingen, als nichts mehr zu erwarten war.“

Am Ende findet die vorgeschobene Erzählerin verblüffende Ähnlichkeiten zwischen der Geschichte über ihre Vorfahren und deren Kindheit mit dem Bruegel-Gemälde „Die Kinderspiele“ – und lässt ihre Ahnen verspielt darin verschwinden. Danach besucht sie das Grab ihrer Tochter Paula. Was bleibt, ist ein wunderbares Wortgemälde in allen Farben der Erinnerung.